»Hafeninfarkt« in Rotterdam
Von Gerrit Hoekman
Die dänische Reederei Mærsk hat angekündigt, ab dem 25. Juni auf der TA5-Linie zwischen den USA und Europa den Seehafen Rotterdam nicht mehr anzulaufen und vom britischen Felixstowe direkt nach Hamburg zu steuern. Der Grund: Die Containerterminals von Rotterdam quellen über. Die Rede ist bereits von einem »Hafeninfarkt«. In der ersten Juniwoche warteten elf Containerschiffe vor Rotterdam auf die Erlaubnis, am Terminal festzumachen, berichtete am Dienstag trans.info, die polnische Nachrichtenseite für die Logistikbranche. In Antwerpen sieht es nicht viel besser aus: »Überfüllt ist noch freundlich ausgedrückt«, so der Hafenbetreiber vor einer Woche. Chaos sei das bessere Wort. Die durchschnittliche Wartezeit stieg auf durchschnittlich 44 Stunden. »In Hamburg berichten einige Containerbetreiber von Verspätungen von bis zu sechs Tagen, womit dieser Hafen zu den am stärksten betroffenen Häfen der Region gehört.« Die Situation werde sich nach Ansicht von Analysten in absehbarer Zeit nicht ändern, so trans.info.
»So etwas haben wir nur während der Coronakrise erlebt, aber damals konnte man leicht erklären, warum es dazu kam: Wenn alle gleichzeitig neu starten und Material brauchen, das in dieselben Häfen muss, kommt es zu einem Engpass. Jetzt gibt es überall Engpässe, aber aus viel mehr verschiedenen Gründen. Und niemand weiß, wie lange es dauern wird«, sagte Jacques Vandermeiren, der Chef des Antwerpener Hafens, am 28. Mai im flämischen Wirtschaftsblatt De Tijd.
Jetzt sind die Gründe vielschichtiger. Natürlich spielen geopolitische Entwicklungen eine Rolle, etwa der von Donald Trump entfachte Zollstreit mit China. Antwerpen selbst stößt aber wie Rotterdam seit Jahren an seine Kapazitätsgrenze. »Die Lieferkette, die normalerweise straff organisiert ist, lässt sich immer schwerer abstimmen. Wir sind an ein System gewöhnt, das wie ein Uhrwerk funktioniert«, sagt William Demoor von der Hafenbehörde in Antwerpen gegenüber De Tijd. Wenn die Terminals zu über 80 Prozent ausgelastet seien, komme es zu Engpässen. »Die Container bleiben länger und müssen häufiger umgeschlagen werden. Die Verweilzeiten steigen von fünf Tagen auf acht Tage und mehr.«
Es gäbe außerdem zu wenige Binnenschiffe; die Waren kämen deshalb zu langsam aus dem Hafen heraus. Im Rotterdamer Hafen liegen die Binnenschiffe aber immer länger still, weil verspätete Containerschiffe am Kai stets Vorrang bekommen. »Das behindert nachhaltige Frachtströme und treibt die Kosten in die Höhe«, beklagte Evofenedex am Mittwoch in einer Pressemitteilung. Die Lobbyorganisation vertritt rund 15.000 Unternehmen in den Niederlanden, die in der Transport- und Logistikbranche tätig sind. Für die Wartezeit müssen die Binnenschiffe auch noch Liegegeld blechen. »Für Handels- und Produktionsunternehmen ist ein reibungsloser Transit durch die Häfen lebenswichtig«, so Evofenedex. Falls der Transport mit dem Binnenschiff zu lange dauere, würden sich Unternehmen für den Lkw entscheiden.
Das Problem mit den Wartezeiten gibt es in Rotterdam nicht erst seit gestern: Ende April sollte die »MSC Adelaide« dort eintreffen. Die französische Reederei CMA CGM entschloss sich aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens in Rotterdam jedoch spontan, die gesamte Ladung schon in Antwerpen zu löschen. »Die Kunden erhielten ein Schreiben der Reederei, in dem sie sich entschuldigte«, berichtete das niederländische Nieuwsblad Transport. Der Spediteur, der in Rotterdam auf die Ladung wartete, musste die Container auf eigene Kosten in Antwerpen abholen. Auf den ersten Blick mag sich Antwerpen freuen, wenn es dem großen Konkurrenten Fracht abnimmt. Was den Containerumschlag angeht, hat Antwerpen Rotterdam seit dem ersten Quartal 2025 überholt.
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