»Bei Beschäftigten und Eltern ist das Entsetzen groß«
Interview: Gitta Düperthal
Eine afghanische Erzieherin, die in der Offenbacher Kita »Die Krabbelstubb« arbeitete, wurde vor wenigen Tagen nach Litauen abgeschoben. Wie kam es dazu?
Die Erzieherin, die sich selbst »Amira« nennt, da sie nicht möchte, dass ihr Name öffentlich bekannt wird, hatte morgens vor ihrer Schicht die Kolleginnen der Kita informiert, dass sie nicht zur Arbeit kommen kann: Weil die Polizei bei ihr vor der Tür steht und sie gerade abgeschoben wird.
Auf welcher Rechtslage basiert die Abschiebung?
Es ist wieder ein Fall nach dem »Dublin«-Verfahren. Danach werden ständig Menschen in Länder abgeschoben, in denen sie niemanden kennen und zu denen sie keinen Bezug haben, nur weil sie dort erstmals europäischen Boden betreten haben. In Amiras Fall ist das Vorgehen besonders drastisch. Sie hatte in Afghanistan Pädagogik studiert, lebte nach ihrer Flucht seit 2022 in Deutschland, hatte einen unbefristeten Arbeitsvertrag in der »Krabbelstubb«. Sie stand kurz davor, ihren Berufsabschluss hier voll anerkannt zu bekommen.
Wie ist ihre Lage aktuell?
Sie hatte in Offenbach ein Leben, eine Wohnung, einen Job. In Litauen muss sie in einem ihr fremden Land ausharren, dessen Sprache sie nicht spricht, wo sie keine Kontakte hat.
Wie werten Sie es, wenn trotz des Fachkräftemangels im Erzieherberuf die Mitarbeiterin einer Kita abgeschoben wird?
Es ist völliger Irrsinn. Zum einen klagt die Bundesregierung über Mangel an Fachkräften, will sie aus dem Ausland abwerben. Zum anderen macht sie denen, die hier arbeiten wollen, die Anerkennung von Abschlüssen möglichst schwer – und lässt Fachkräfte aus laufenden Arbeitsverhältnissen heraus abschieben. Die Bundesregierung versucht offenbar alles, um rechte Narrative zu bedienen und die Abschiebezahlen in die Höhe zu treiben. Ohne jegliche Rücksicht!
Wie reagiert die Kita im Fall von Amira? Sie war ja in den Dienstplan eingeteilt, um eine Kindergruppe zu betreuen.
Das Entsetzen bei den Beschäftigten und den Eltern ist groß. Mit Amiras Abschiebung verlieren die Kinder eine Pädagogin und Vertrauensperson. Das Team der Einrichtung verliert eine geschätzte Kollegin. Für Amira war der Weg bis dahin nicht einfach gewesen. Sie hat die deutsche Sprache gelernt und viele bürokratische Hürden überwunden, um ihre berufliche Anerkennung zu erhalten. Auch für ihren Arbeitgeber in dieser Kita bedeutet das Aufwand: Kommunikation mit Ämtern, Formulare ausfüllen, also gleichermaßen viel Bürokratie etc. All die Mühen macht man zunichte, wenn man Menschen aus ihrem Leben reißt und in ein Land abschiebt, wo sie keine Perspektive haben.
Sie fordern, dass die Abschiebung rückgängig gemacht wird. Wie unterstützt Die Linke die Betroffene?
Wir werden schauen, was wir machen können, damit sie wieder zurückkommen kann und versuchen, Solidarität zu organisieren.
Amira ist kein Einzelfall?
Nein. Es gab den Fall einer Pflegerin aus Freiburg, die aus der Nachtschicht heraus abgeschoben wurde. Kinder wurden aus dem Unterricht herausgeholt. Eine afghanische Familie aus Frankfurt am Main, die sieben Jahre mit ihren zwei schulpflichtigen Kindern hier lebte, wurde im April nach Indien abgeschoben. All diese Menschen sind hier verwurzelt, werden aus dem Alltag herausgerissen und in Länder abgeschoben, zu denen sie keinen Bezug haben.
Was also tun?
Wir müssen uns der Bundesregierung mit ihrer inhumanen Migrationspolitik entgegenstellen. Es gilt, den Menschen, die hierherkommen, eine Perspektive zu eröffnen. Eine solche Abschiebung, die alles zunichtemacht, ist nicht nur für die betroffene Person furchtbar, sondern auch für all die Menschen, die sie unterstützt haben. Unsere Gesellschaft ist auf Migration angewiesen. Marode Schulen, zu große Klassen, lange Wartezeiten beim Arzt: All das hat nichts mit Migration zu tun. Die realen Probleme sind auf die Klassengesellschaft, eine ungerechte Verteilung von Reichtum und unterfinanzierte Kommunen zurückzuführen. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass davon mit rechten Narrativen abgelenkt wird.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Angelika Warmuth/REUTERS05.06.2025
Normalisierter Rechtsbruch
- Monika Wendel/dpa22.06.2024
Die Richtung vorgegeben
- Dominic Ebenbichler/REUTERS19.08.2021
Wahlkampf mit Angst
Regio:
Mehr aus: Inland
-
Bahn-Fahren wird teurer
vom 13.06.2025 -
Wer Frieden fordert, stört
vom 13.06.2025 -
Minister suchen »richtiges Maß«
vom 13.06.2025 -
Nach der Flaute Böen
vom 13.06.2025 -
Kompromiss in Sachsens Haushalt absehbar
vom 13.06.2025 -
Verein »Jüdische Stimme« protestiert gegen Einstufung als »gesichert extremistisch« im Verfassungsschutzbericht
vom 13.06.2025