Unschuldslamm Bolsonaro
Von Nobert Suchanek, Rio de Janeiro
Im Prozess vor dem Obersten Bundesgericht Brasiliens wegen des Vorwurfs des Putschversuchs hat der frühere rechte Präsident Jair Bolsonaro am Dienstag alle Anschuldigungen zurückgewiesen. Dies war das erste Mal, dass Bolsonaro von den Bundesrichtern als Angeklagter befragt wurde. Die Vernehmung dauerte mehr als zwei Stunden. Bolsonaro und sieben Mitangeklagte haben laut Generalstaatsanwaltschaft nach seiner Wahlniederlage 2022 einen Putsch gegen den linken Nachfolger Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (PT) geplant. Der Anklageschrift zufolge scheiterte der Putsch lediglich, weil die Unterstützung durch das Militär fehlte.
Auf die Frage von Bundesrichter Alexandre de Moraes, ob die Vorwürfe wahr seien, verneinte Bolsonaro: »Ich habe nie von einem Staatsstreich gesprochen. Ein Staatsstreich ist abscheulich. Die Folgen wären unvorhersehbar und für alle schädlich gewesen«, sagte der Expräsident bei seiner Vernehmung. »Die Möglichkeit eines Staatsstreichs wurde in meiner Regierung nicht einmal in Betracht gezogen. Ich habe mich stets auf die Seite der Verfassung gestellt.« Laut Generalstaatsanwaltschaft soll Bolsonaro auch Kenntnis von einem Mordkomplott gegen Lula, dessen Vizepräsidenten Geraldo Alckmin sowie Bundesrichter Alexandre de Moraes gehabt haben. Auch diese Behauptung wies der Angeklagte zurück.
Kurz nach Lulas Wahl hatten am 8. Januar 2023 Hunderte von »Bolsonaristen« den Kongress, das Oberste Gericht und den Präsidentenpalast in Brasília gestürmt und verwüstet. Bolsonaro wies nun jegliche Verantwortung dafür von sich und bezeichnete seine Anhänger, die nach den Wahlen 2022 im ganzen Land vor Militäreinheiten kampierten und zum Einsatz der Streitkräfte aufriefen, um Lulas Amtsantritt als Präsident der Republik zu verhindern, als »Verrückte«. Laut Anklage aber hat Bolsonaro die Errichtung der Protestcamps selbst gefördert.
Auf die Frage nach der Grundlage für seine frühere Behauptung, es habe bei den Wahlen und an den elektronischen Wahlurnen Betrug gegeben, antwortete der ehemalige Präsident ausweichend. Er verwies auf Äußerungen anderer Spitzenpolitiker, die den Wahlprozess bereits früher kritisierten. Im Rahmen der richterlichen Vernehmung gab sich Bolsonaro reumütig und entschuldigte sich für seine vergangenen verbalen Ausbrüche gegen Bundesrichter Moares. Der 70jährige lud Moraes sogar ein, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen sein Vizepräsidentschaftskandidat zu sein. Der Bundesrichter lehnte freundlich ab.
Der Abschluss der Aussagen der Angeklagten ist nur der Beginn des Strafverfahrens. Nun haben Verteidigung und die Generalstaatsanwaltschaft eine Frist von fünf Tagen, um zusätzliche Unterlagen vorzulegen oder die Anhörung neuer Zeugen zu beantragen. Bundesrichter Moraes muss diese Anträge prüfen. Beide Parteien haben dann eine 15tägige Frist, um ihre abschließenden Argumente schriftlich vorzubringen. Erst dann kann Moraes seinen Abschlussbericht erstellen, wofür es aber keine Frist gibt.
Erst nach Vorlage des Berichts wird der Fall vor der Ersten Kammer des Obersten Gerichtshofs verhandelt. Der Präsident der Ersten Kammer, Cristiano Zanin, muss dafür ein Datum festlegen. Einige Gerichtsexperten rechnen mit einem Urteil noch in diesem Jahr. Im Falle einer Verurteilung drohen Bolsonaro und den anderen des Putschversuchs Angeklagten bis zu 39 Jahre Haft. Sie werden ihre Strafe jedoch erst antreten müssen, wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind. Ob und wann letztlich der rechte Expräsident schuldig gesprochen werden und einsitzen sollte steht damit noch in den Sternen. Nur eines ist sicher: Brasiliens Gerichtsmühlen mahlen in der Regel langsam, sehr langsam. Unbeeindruckt von dem gegen ihn laufenden Prozess scheint Bolsonaro auf sein politisches Comeback bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr zu setzen, obwohl er aufgrund einer im Juni 2023 ausgesprochenen Verurteilung wegen Amtsmissbrauchs gar nicht kandidieren darf. Bis zum Jahr 2030 wurde ihm das passive Wahlrecht entzogen.
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