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Aus: Ausgabe vom 13.06.2025, Seite 6 / Ausland
Nach Anschlagserie

Blockierter Wandel

Kolumbiens Präsident will Volksbefragung zu seiner Arbeitsreform. Rechte instrumentalisiert Attentat auf ihren Präsidentschaftskandidaten in spe
Von Elias Korte, Cali
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Kein totaler Frieden: Zentrales Vorhaben von Petros Amtszeit ist noch nicht erreicht (Villa Rica, 10.6.2025)

Kolumbien ist in den vergangenen Tagen von einer Welle der Gewalt getroffen worden. Am Sonnabend entging der rechte Senator Miguel Uribe Turbay bei einem Wahlkampftermin in Bogotá nur knapp dem Tod durch ein Attentat. Er schwebt noch immer in Lebensgefahr. Am Dienstag erschütterte eine koordiniert wirkende Anschlagsserie mit 24 Explosionen den Südwesten Kolumbiens, mit sieben Toten – darunter zwei Polizisten – und mehr als 30 Verletzten. Dazu bekannt hat sich die EMC, eine Splittergruppe der aufgelösten linken Guerilla FARC-EP. Die Eskalation der Gewalt legt sich wie ein Schatten auf den politischen Prozess um Gesetzesvorhaben von Präsident Gustavo Petro. Unter einem großen Polizeiaufgebot reiste dieser am Mittwoch für einen Sicherheitsgipfel nach Cali und unterzeichnete in der Stadt, die als Hochburg seiner Unterstützerschaft gilt, ein Dekret für eine landesweite Volksbefragung zu seiner Arbeitsreform. Diese wurde zuvor im von der rechten Opposition dominierten Senat blockiert.

Das von Petro ausgerufene Referendum, das dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorliegt, soll am 7. August stattfinden, dem dritten Jahrestag seiner Präsidentschaft. Zwölf Fragen umfasst die Konsultation, darunter die Forderung nach dem Achtstundentag, einer gesetzlichen Sozialabsicherung für digitale Plattformarbeiter, einem Rentenfonds für Kleinbauern, Fördermaßnahmen für Genossenschaften sowie der Abschaffung prekärer Leiharbeit. Auch Feiertagszuschläge, formalisierte Beschäftigung für informell Tätige wie Hausangestellte, Künstler oder Sportler und verpflichtende Inklusionsquoten für Menschen mit Behinderung sind Teil der Vorlage. Es ist das ambitionierteste Sozialpaket seit Jahrzehnten, und Petro hat damit den offenen Bruch mit den konservativ-liberalen Fraktionen im Kongress vollzogen.

»Wenn der Senat die Reformen blockiert, muss das Volk entscheiden«, erklärte er vor Tausenden Unterstützern auf der Plaza de San Francisco in Cali. Sein Auftritt fand unter strengen Sicherheitsmaßnahmen statt: Scharfschützen auf den Dächern, Sicherheitsschleusen, kein Zugang mit Fahnenstöcken oder Wasserflaschen – es lag Spannung in der Luft. Auch in vielen anderen Städten Kolumbiens gingen Tausende zur Unterstützung der Regierung auf die Straße.

Der Anschlag auf Uribe, der einer Politikerdynastie entstammt und als Spitzenkandidat in spe des rechten Lagers für die Wahlen 2026 gilt, war umgehend von der Rechten politisch instrumentalisiert worden. Noch bevor nähere Details zum Täter bekannt waren, beschuldigten rechte Medienakteure wie Vicky Dávila und hochrangige Vertreter der Opposition den Präsidenten persönlich. Die soziale Mobilisierung für die Sozialreformen wurde als »Klima der Gewalt« etikettiert. Das Attentat, laut Petro verübt von mafiösen Strukturen, wurde von den traditionellen Medien und Parteien der Regierung angedichtet.

Petro verurteilte die Tat scharf und kündigte verstärkten Schutz für alle hochrangigen Oppositionspolitiker an. Auch verpflichtete er sich öffentlich zu einer verbalen Abrüstung: »Kolumbien darf sich nicht in politischem Hass auflösen.« Ein bemerkenswerter Schritt in einem Klima der Eskalation, in dem rechte Parlamentarier offen darüber spekulieren, mit internationaler Unterstützung gegen die Regierung vorzugehen. Die Reaktion der Rechten erinnert in Tonfall und Methode an ein altbekanntes Muster: Gewaltvorfälle, so die Analyse progressiver Stimmen, werden genutzt, um den politischen Diskurs von der Sozial- zur Sicherheitspolitik zu verschieben – ein Terrain, auf dem die kolumbianische Rechte seit jeher dominiert. Bereits die Ankündigung der Volksbefragung wurde als »diktatorischer Akt« gebrandmarkt, ein absurder Vorwurf angesichts eines Instruments direkter Demokratie, das in der Verfassung fest verankert ist.

Trotz Terrorwarnungen und Versuchen der Einschüchterung folgten Zehntausende dem Aufruf zum Aktionstag. Als Petro in Cali auf der Bühne war, sprachen zunächst Vertreter sozialer Bewegungen und Gewerkschaften, und der Präsident hörte zu. Der Souverän, das Volk, stand im Zentrum. Petro sprach schließlich von mutmaßlichen Plänen des US-Außenministers Marco Rubio, seine Regierung zu stürzen, und erklärte, dass »die progressiven Kräfte Kolumbiens kein Interesse an Gewalt« hätten, im Gegenteil: »Gerade jetzt, wo soziale Reformen zum Greifen nah sind, ist die Destabilisierung der größte Feind des Wandels.« Linke Führungspersönlichkeiten sind seit Jahrzehnten die Hauptzielscheibe politischer Gewalt.

Ein Jahr vor den nächsten Wahlen befinden sich Kolumbien und Petros Regierung am Scheideweg. Die große Frage: Wird es gelingen, die politische Debatte bei den sozialen Anliegen zu halten, oder wird Kolumbien erneut in einen Sicherheitsdiskurs abgleiten? Dass Petro die Instrumente der Verfassung nutzt, um dem blockierten sozialen Wandel doch noch eine Chance zu geben, ist ein historischer Schritt. Aber das Terrain ist im wahrsten Sinne des Wortes vermint.

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