Wer Frieden fordert, stört
Von Niki Uhlmann
In der BRD gelten Rufe nach außenpolitischer Deeskalation vielen inzwischen als Ausdruck von »Putinismus«. Dementsprechend erschüttert die Sozialdemokratie aktuell, dass ein solcher Vorschlag gestern aus ihren eigenen Reihen, den SPD-Friedenskreisen kam. Gefordert werden unter anderem das »Gespräch mit Russland«, die Ablehnung der »Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen« sowie »neue Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung, Rüstungskontrolle, vertrauensbildende Maßnahmen sowie Diplomatie und Abrüstung in Europa«. Das läuft dem Kriegskurs der Regierung, den die SPDler der ersten Reihe selbstredend unterstützen, zuwider, weswegen selbige im Gespann mit der bürgerlichen Presse zum Angriff auf die vermeintliche Vaterlandsverräter übergangen sind.
Dazu setzte der für »Kriegstüchtigkeit« zuständige Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Mittwoch abend auf Instagram an: »Das Papier der SPD-Friedenskreise verweigert sich der Realität«. Ferner nutze es den Wunsch nach »Stabilität und Frieden« aus. Am Donnerstag morgen legte das ehemalige Bundestagsmitglied Michael Roth (SPD) im Deutschlandfunk nach, indem er das Manifest als »selbstgefälliges und selbstsüchtiges Wohlfühlpapier« verunglimpfte. Dieses ignoriere, was sich »seit dem Überfall Russlands auf Georgien zugetragen« habe, wolle »nur über das reden«, was »genehm ist« und unterstelle gar, dass es »militaristische Politiker im Westen« gebe. Nur glänzt Roths Weltanschauung nicht durch sonderlich komplexe Analyse der aktuellen Blockkonfrontation: »Liberale Demokratien« müssten sich gegen »imperialistische Macht« schützen. Dass die BRD dafür »die Amerikaner« samt ihrer Raketen brauche, müsse also »erklärt werden«, ignorierte er geflissentlich die Hinweise auf den westlichen Imperialismus im Manifest.
»Wir brauchen keine Kehrtwende, was die Unterstützung der Ukraine angeht«, sprach der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sein Machtwort am Mittwoch abend auf Instagram. Für die Debatte zeigte er indes Verständnis: Die SPD müsse »solche Diskussionen« aushalten, zumal Aufrüstung und Diplomatie »zwei Seiten einer Medaille« seien. Im Klartext: Die Debatte darf stattfinden, solang am Ende alles auf Linie bleibt. Für diese Ansage von ganz oben wurde Klingbeil kurz darauf von Norbert Walter-Borjans kritisiert. Bei ihm vermisse er »die Doppelbotschaft: Verteidigungsbereitschaft und unablässige Aufforderung zum Dialog«, sagt der ehemalige SPD-Chef der FAZ. Damit gäbe Klingbeil »die Meinung vieler an der Parteibasis, in der Bundestagsfraktion und in der Bundesrepublik aber nicht wieder«. Auf dem Parteitag Ende Juni werde man nebst »neuem Grundsatzprogramm« auch die »Machtkonzentration in der Partei« diskutieren.
Unter diesem Vorzeichen lobte der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer das Manifest gleichentags im Stern: »Es ist gut, dass wir jetzt diese Debatten führen, denn sie entfalten neben der inhaltlichen Ebene auch eine psychologische Wirkung.« Hätte die BRD 2024 »tatsächlich 3,5 Prozent des BIP« für Aufrüstung aufgewendet, wären das »von der Realität weitestgehend entkoppelte Mondzahlen« gewesen. Darum müsse auf sicherheitspolitische Zusammenarbeit gedrängt werden. Sören Pellmann, Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Bundestag, streckte den Sozialdemokraten am Donnerstag laut AFP die Hand aus. Für »Sicherheitspolitik unabhängig von der NATO und für eine EU, die sich gegen eine neue Blockkonfrontation stellt«, sei die Linke zu haben. Jene, »die den Kriegskurs von Merz und Klingbeil für brandgefährlich halten«, sollten sich um die »Reaktivierung einer starken Friedensbewegung bemühen«, forderte BSW-Chefin Sahra Wagenknecht gegenüber der Funke-Mediengruppe.
Die dürfte bitter nötig werden. Denn Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hält es wie Klingbeil. Die Regierung sei sich bei der »Bewertung des Krieges« und »den Konsequenzen, die es daraus zu ziehen gilt, vollkommen einig«, sagte er bei seinem Treffen mit der dänischen Ministerpräsidentin in Berlin. Auf dem NATO-Gipfel in Den Haag werde man darum eine historische Erhöhung der Rüstungsausgaben beschließen, nahm er die weitere Militarisierung vorweg. Womöglich ist es für die friedensbewegten Hinterbänkler in der SPD bereits zu spät.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (12. Juni 2025 um 21:09 Uhr)Ich muss etwas weiter ausholen: Nach einer möglichen Wiederwahl Donald Trumps scheint die US-Zentralbank (Fed) – als global agierendes Instrument privater Finanzinteressen – gemeinsam mit geopolitischen Akteuren wie der City of London und den Brüsseler EU-Institutionen ihre wirtschaftlichen und strategischen Ziele noch aggressiver durchsetzen zu wollen – unter dem Motto: »Koste es, was es wolle.« Um zu verstehen, was »Kleinbritannien« und die politisch schwache EU gegenüber Russland tatsächlich beabsichtigen, muss man diesen geopolitischen Kontext im Blick behalten: Es geht dabei längst nicht mehr um Frieden, sondern um die Absicherung alter Machtansprüche und Einflusszonen. Kommen wir zur SPD: In dieser Partei hat es Tradition, dass die Basis kaum Einfluss auf grundlegende Entscheidungen hat. Beschlüsse werden konsequent »von oben« getroffen – stets mit dem Hinweis, dass dort der Überblick größer sei. Schon beim Jugoslawienkrieg und bei den »Hartz IV«-Gesetzen war die Parteibasis mehrheitlich dagegen, doch am Ende wurde die Politik gegen deren Willen durchgesetzt. Auch heute hat sich daran nichts geändert: Innerparteiliche Demokratie existiert in der SPD bestenfalls formal – faktisch herrscht eine autoritäre Führungskultur, wie sie Heinrich Mann in seinem Roman Der Untertan treffend beschrieben hat: nach oben loyal, nach unten herrisch.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (12. Juni 2025 um 20:52 Uhr)Friedensbewegte Hinterbänkler in der SPD sind besser als nix. Sie zeigen wenigstens den gerade noch möglichen Diskussionsspielraum auf.
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