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Aus: Ausgabe vom 13.06.2025, Seite 2 / Inland
Familienreservierung fällt weg

Bahn-Fahren wird teurer

Konzern will trotz scharfer Kritik Familienreservierung für Sitzplätze streichen
Von Susanne Knütter
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Sitzplätze für eine größere Familie? Deren Reservierung im Fernverkehr soll sündhaft teuer werden

Allein die Tatsache, dass man für Sitzplätze extra zahlen muss, ist eine Unverschämtheit. Nun soll die einzige Vergünstigung, die es dafür gab, abgeschafft werden: die Familienreservierung. Bekannt wurde das bereits am Dienstag. Daraufhin gab es breite öffentliche Kritik und Empörung. Nun verkündete die Deutsche Bahn, an ihren Plänen festzuhalten: »Die Familienreservierung werden wir ab dem 15. Juni nicht mehr anbieten«, teilte eine Sprecherin gegenüber dpa am Donnerstag mit.

Gemeinsam sitzen ist in den meist übervollen Fernverkehrszügen oft nur mit Reservierung möglich. Gerade mit kleinen Kindern ist das Sitzen während der Fahrt aber auch eine Frage der Sicherheit. Ein plötzliches Ruckeln und schon ist der Kopf angeschlagen. Das zu vermeiden, wird künftig einmal mehr zur Frage des Geldbeutels. Anstelle der 10,40 Euro für eine Familienreservierung (für bis zu fünf Personen) in der zweiten Klasse sind es mit zwei Kindern künftig 22 Euro. Für Hin- und Rückweg kommen 44 Euro zusammen. Wer mehr Kinder hat, gute Nacht.

Kritik an den Plänen gab es unter anderem vom Sozialverband Deutschland, dem Fahrgastverband Pro Bahn und Greenpeace. Aber auch Politiker von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linkspartei forderten ein Umdenken der Bahn. Der Vorwurf lautete unter anderem, dass die Bahn Familien ins Auto treibe. Allein fünf Petitionen bei Change.org fordern die Beibehaltung der Familienreservierung. In einer heißt es: »Sitzplatzreservierungen sind für Familien vor allem mit kleinen Kindern keine Frage des Luxus. Sie sind schlichtweg notwendig.«

Erst im November hatte eine Ankündigung der Bahn, die Aushänge der Ankunftspläne in den Bahnhöfen zu streichen, heftige Kritik ausgelöst. Nach Widerspruch lenkte die Bahn ein. Man nehme »die Kritik von Öffentlichkeit und Verbänden ernst«, hieß es.

Teurer wird am Sonntag auch die »normale« Reservierung. Der Preis für eine Platzkarte in der zweiten Klasse steigt um 30 Cent auf 5,50 Euro. Und was die Bahn außerdem gegenüber dpa sagte, klingt fast wie die Androhung weiterer Teuerungen: »Wir wollen die Mitnahme von Kindern und Jugendlichen auch weiterhin kostenfrei anbieten.« Klar sei aber auch: »Angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage, in der wir uns aktuell befinden, müssen wir unsere Angebote wirtschaftlich tragbar gestalten.«

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  • Leserbrief von Jan Henry Großer aus Berlin (13. Juni 2025 um 08:35 Uhr)
    Ein besonders schönes Detail der teuren Sitzplatzreservierungen sollte man noch erwähnen. Bei ausgefallenen Zügen, Änderung der Zugnummer oder verpassten Anschlüssen verfallen die Sitzplatzreservierungen entschädigungslos. Die Fahrgäste bezahlen für eine Leistung, welche ihnen von der Deutschen Bahn verweigert wird, und bekommen den Preis dieser vorenthaltenen Leistung nicht erstattet, im Gegensatz zum Fahrpreis. Bei der SNCF ist dagegen der Sitzplatz in Fernzügen nicht nur selbstverständlich im Fahrpreis enthalten, sondern wird bei Verspätung oder Ausfall sogar automatisch erstattet. Wie das deutsche Staatsunternehmen mit seinen Kunden umspringt, ist auch ein Indiz für das Verhältnis der neudeutschen Obrigkeit zu ihren Bürgern.
  • Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (12. Juni 2025 um 22:11 Uhr)
    Bemerkenswerter Vorgang und interessante Kommunikationsstrategie der DB, wobei mensch wohl noch nicht wissen kann, ob es sich um einen sich noch entwickelnden, cleveren Marketing-Spin oder um ordinäre Inkompetenz und Dummheit handelt. Tendieren würde ich zu letzterem, weil frühe Ansagen in Bezug auf das Image nur schwer wieder aus der Welt zu schaffen sind. Denn das ganze geschieht ja vor dem Hintergrund, dass Konkurrent Flixtrain gerade Dutzende neue Züge bestellt, teilweise auch bereits geliefert bekommen hat und diese in naher Zukunft mit der Marketing-Ansage fahren lassen will, genau gar keine Extrakosten für die Sitzplatzgarantie zu berechnen.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (12. Juni 2025 um 21:38 Uhr)
    Seit der Privatisierung der Deutschen Bahn erleben wir ein Paradebeispiel dafür, wie neoliberale Reformen öffentliche Daseinsvorsorge in die Knie zwingen. Aus einer ehemals staatlich organisierten, wenn auch nicht immer effizienten Bahn wurde ein Unternehmen, das zwischen Profitdruck und Staatszuschüssen zerrieben wird – zum Nachteil aller Fahrgäste. Besonders absurd wird es, wenn man sich den Alltag auf manchen Strecken anschaut. Zwischen Stuttgart und Würzburg beispielsweise gibt es seit Monaten keinen funktionierenden Zugang zu Toiletten – wegen fehlender Ver- und Entsorgungsanlagen. Diese Dauerstörung ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines strukturellen Verfalls. In einer Gesellschaft, die nicht nur altert, sondern auch – salopp gesagt – mehr pinkeln muss, ist die Bahn nicht mal mehr in der Lage, Grundbedürfnisse zu erfüllen. Und das bei Fahrzeiten von über mehreren Stunden! Das ist nicht nur ein gesundheitliches Problem, sondern schlicht entwürdigend. Besonders für ältere Menschen, Familien mit kleinen Kindern.

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