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Aus: Ausgabe vom 13.06.2025, Seite 2 / Ausland
Ärztliche Versorgung in Gaza

»So arbeiten zu müssen ist unvorstellbar«

Im Norden von Gaza bombardiert Israel das Al-Awda-Spital. Die medizinische Lage ist verheerend. Ein Gespräch mit Shadi Abu Daher
Interview: Dieter Reinisch, Wien
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Sie hatten vor kurzem Kontakt mit dem Direktor des Al-Awda-Krankenhauses im Norden Gazas. Wie ist die medizinische Situation in dem abgeriegelten Küstenstreifen?

Unerträglich und sehr gefährlich. Es fahren mit Waffen und Bomben beladene Roboter zum Krankenhaus. Es ist das letzte funktionierende Spital im Norden. Alle anderen Krankenhäuser wurden bereits bombardiert. Nun wollen sie mit andauerndem Beschuss das medizinische Personal auch aus Al-Awda vertreiben.

Über 250 Mediziner sind bisher gestorben. Als Chirurg ist man besonders gefährdet, wenn man sich bewegen muss. Viele Ärzte wurden festgenommen, wie Hussam Abu Safiya, der Direktor des Kamal-Adwan-Krankenhauses, der nichts anderes gemacht hat, als Patienten zu versorgen. Auch der ehemalige Direktor des Al-Awda-Spitals ist seit November 2023 in Haft, ebenso befreundete Orthopäden von mir.

Die Generatoren funktionieren mittlerweile kaum, es gibt nur für rund zwei Stunden pro Tag Strom, in der Zeit muss man alles machen. Es ist für unsere Verhältnisse unvorstellbar, so als Arzt arbeiten zu müssen. Ich kann es mir nicht vorstellen, wie das funktioniert.

Gibt es im Norden noch internationales Hilfspersonal?

Meines Wissens nicht. In Gaza-Stadt arbeitet »Ärzte ohne Grenzen«, in anderen Regionen im Süden auch noch. Das Rote Kreuz oder »Ärzte ohne Grenzen« evakuiert teilweise noch Patienten. Aber es fehlt an allem, an Medikamenten, Infusionen, Anästhesie. Wie sie die Menschen behandeln, ist mir ein Rätsel.

Ich habe von einem Patienten gehört, der einen Grünen Star hat und erblindet ist, weil er die Augentropfen nicht erhalten hat. Für uns ist das banal, das kann problemlos behandelt werden, man muss nur die Augentropfen nehmen, doch die gibt es nicht mehr in Gaza.

Wie versucht die Palästinensische Ärzte- und Apothekervereinigung in Österreich zu helfen?

Ich kenne die Direktoren des Al-Awda-Spitals sehr gut, da wir mit ihnen seit Jahren kooperieren. Wir haben dort in Dschabalija das Jugendzentrum und das Lazarett wiederaufgebaut und dafür 50.000 Euro geschickt, OP-Betten bezahlt und medizinisches Personal zur Verfügung gestellt. Al-Awda ist eine NGO und daher ist es einfacher, mit ihnen zu arbeiten. Auch die Palästinensischen Ärzte in Deutschland arbeiten viel mit Al-Awda.

Wir versuchen, auch Trinkwasser zu finanzieren, Brunnenbau im Umfeld der Krankenhäuser zu ermöglichen. Zuletzt haben wir einen Generator für ein Krankenhaus bezahlt. Auch Essenspakete finanzieren wir.

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Sie versuchen auch, Patienten zu evakuieren. Wie funktioniert das?

Sehr schwierig, denn es funktioniert derzeit nur über die Weltgesundheitsorganisation, WHO. Das geht nur vereinzelt, dabei müssten über 10.000 Patienten dringend evakuiert werden. Es kommen auch keine Ärzte rein nach Gaza. Wir haben bereits im Oktober 2023 einen Antrag gestellt, dass wir eine Ärztemission aus Österreich und Deutschland stellen. Bisher haben wir immer noch keine Antwort erhalten. Es ist uns auch nicht gelungen, Patienten über die WHO nach Österreich zu evakuieren. Früher haben wir Patienten nach Deutschland und Österreich evakuieren können, aber nach Europa ist es mittlerweile nahezu unmöglich.

Wo haben Sie diesen Antrag gestellt?

Wir haben ihn über die ägyptische Botschaft geschickt. Die palästinensische Botschaft hat geholfen. Wir bekommen leider kein Ja und kein Nein.

Von der ägyptischen Seite?

Genau, aber es hängt wohl mit den Israelis zusammen, denn die erteilen die Genehmigungen. Es werden hauptsächlich Genehmigungen an Ärzte aus den USA ausgestellt.

Und die Evakuierungen, die Sie organisieren?

Das waren leider nicht viele; drei Patienten haben wir nach Ägypten bringen können. Ein paar Patienten kamen nach Italien, Spanien und Belgien.

Ich habe versucht, meinen Neffen, der der einzige Überlebende meiner Familie ist, nach Österreich zu holen, aber es war nicht möglich. Ich habe die Finanzierung vorgelegt und es über die österreichische Botschaft in Tel Aviv versucht, aber die sagten, es ist nicht möglich, wenn es kein Verwandter ersten Grades ist.

Shadi Abu Daher ist Internist und der Obmann der Palästinensischen Ärzte- und Apothekervereinigung in Österreich

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