Horror ohne Ende in Gaza
Von David Siegmund-Schultze
Panzer- und Drohnenbeschuss auf Hungernde, Internetblackout und Aufruf zur Flucht, Stromausfall im Krankenhaus, Wasseranlagen vor dem Kollaps. Die Meldungen aus dem Gazastreifen ergeben ein Bild des Horrors. Ein von Israel absichtlich herbeigeführter Horror, der das Überleben der palästinensischen Bevölkerung in dem abgeriegelten Gebiet von Tag zu Tag schwerer macht.
Doch der Reihe nach: Mindestens 40 Menschen sind am Mittwoch nach Angaben der Gesundheitsbehörde beim Versuch getötet worden, an die knappen, durch die von Israel eingesetzte Gaza Humanitarian Foundation (GHF) bereitgestellten Hilfsgüter zu gelangen. Im Internet kursierende Handyaufnahmen zeigen panische Menschen, die unter Gewehrsalven und Bombenabwürfen fliehen und Tausende Menschen, die sich um die wenigen Essenspakete reißen. Damit wurden seit Beginn der Operationen der GHF Ende Mai 203 Palästinenser an den Ausgabestellen getötet und mehr als 1.500 verletzt. Ein Sprecher der Zivilschutzbehörde sagte am Mittwoch, die Menschen seien durch »israelischen Panzer- und Drohnenbeschuss« getötet worden. Das Militär veröffentlichte eine Stellungnahme, in der es hieß, es habe lediglich »Warnschüsse« in Richtung von »Verdächtigen« abgegeben. Dutzende Zeugenaussagen und eine Recherche der CNN vom vergangenen Donnerstag weisen jedoch darauf hin, dass die Armee für die Massaker verantwortlich ist.
Am Dienstag abend kam es zu einem Ausfall des Internet- und Handynetzes in Gaza-Stadt, wenige Stunden nachdem die Armee den Aufruf zur »Evakuierung« auf weitere Bezirke ausgeweitet hatte. Sie wurden als Kampfzonen deklariert, in denen die Armee nach eigenen Angaben »mit großer Gewalt operieren« werde. Kurz darauf bombardierte das Militär die Hauptinternetleitung des Nordens, wie das Portal Drop Site News berichtete. Damit ist die Bevölkerung dort vom Zugang zu Sicherheitswarnungen und der Koordinierung von Hilfsmaßnahmen abgeschnitten – während sie vertrieben wird.
Auch der Mangel an Treibstoff könnte weitere katastrophale Folgen nach sich ziehen. Am Dienstag warnte die lokale Wasserbehörde, dass die Kraftstoffreserven für die Brunnen- und Entsalzungsanlagen in den nächsten 48 Stunden aufgebraucht würden. Nach der fast dreimonatigen vollständigen Blockade von Hilfsgütern hatte die Armee Ende Mai die Einfuhr minimaler Mengen von Lebensmitteln erlaubt – doch nicht von Treibstoff. Neben der ohnehin schon miserablen Wasserversorgung, 80 Prozent der Infrastruktur wurden im Laufe des Krieges zerstört, steht deshalb auch das Gesundheitssystem erneut vor dem Kollaps. Bereits am Dienstag warnte die Gesundheitsbehörde, dass es zum Ausfall von Operationen und dem Tod von Neugeborenen in Inkubatoren sowie Patienten mit Nierenversagen kommen werde, sollte nicht Treibstoff die Krankenhäuser erreichen.
Auch die Luftangriffe auf das dichtbesiedelte Gebiet gehen ununterbrochen weiter. Am Mittwoch wurden nach lokalen Angaben zehn Palästinenser bei einer Attacke in Khan Junis getötet. Dabei gehen der Armee seit Wiederaufnahme des Krieges am 18. März die Ziele aus, wie eine Recherche des +972-Magazins unter Berufung auf Whistleblower aus dem Militär vergangene Woche enthüllte. »Alle wichtigen Personen sind bereits getötet worden oder haben sich gut versteckt. Also suchen sie händeringend nach Zielen«, so eine Quelle, auch wenn diese keine militärische Relevanz hätten. Außerdem habe man damit begonnen, Wohnviertel als menschenleer zu deklarieren und dortige Häuser ohne vorige Prüfung zu bombardieren – obwohl bekannt ist, dass sich in vielen noch Alte und Kranke befinden, die nicht fliehen können.
Mit dem Versuch, die Blockade des Gebiets zu durchbrechen, wollten Greta Thunberg und elf weitere Aktivisten auf diese genozidale Kriegführung aufmerksam machen. Thunberg ist am Mittwoch wieder in Schweden angekommen, nachdem das Boot, mit dem sie nach Gaza unterwegs war, am Montag in internationalen Gewässern von der israelischen Armee gekapert und die Aktivisten in Haft genommen wurden. Acht von ihnen sind noch immer in Gefangenschaft, der Brasilianer Thiago Ávila ist am Mittwoch nach eigenen Angaben in den Hungerstreik getreten. Der »Marsch nach Gaza« ist gleichentags in Libyen angekommen. Tausende Menschen aus aller Welt haben sich ihm angeschlossen.
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