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Aus: Ausgabe vom 12.06.2025, Seite 4 / Inland
Compact-Verbotsverfahren

Mit Zitaten gegen rechte Blattmacher

Zweiter Verhandlungstag im Compact-Verfahren. Gericht will mit Quellenliste Verbot erhärten
Von Kristian Stemmler
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Stephanie Elsässer im Gespräch mit Ehemann Jürgen Elsässer, Compact-Chefredakteur (10.6.2025)

Am zweiten Verhandlungstag im Compact-Verbotsverfahren ging es vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig um den konkreten Inhalt der rechten Zeitschrift. Auf mehr als 240 Seiten präsentierte das Bundesinnenministerium eine Sammlung von Belegstellen aus dem Magazin, um die Begründung für das im Juli 2024 ausgesprochene Verbot der Firmen hinter dem Blatt zu untermauern. Erklärtes Ziel der Fleißarbeit: Die Texte sollen belegen, dass Beiträge, die die Menschenwürde und damit auch die Verfassung verletzen, prägend für das Magazin sind – und zwar so prägend, dass sie das Compact-Verbot rechtfertigen. Genau daran hatte der sechste Senat des BVerwG bei seiner Entscheidung im Eilverfahren im August 2024 Zweifel geäußert.

Der Anwalt des Ministeriums, Wolfgang Roth, wies vor Gericht darauf hin, dass die Quellenauswahl für die Verhandlung lediglich exemplarisch sei. In den Belegstellen ging es um Begriffe wie »Passdeutsche« oder »Volksaustausch«, Aussagen wie »Deutscher ist ein Mensch mit deutscher Herkunft«. Aus Sicht von Roth belegen solche Passagen, dass die Compact-Macher um Chefredakteur Jürgen Elsässer eine »absolute Homogenität oder eine Rettung der interkulturellen Identität des deutschen Volkes« anstreben.

Bereits am ersten Verhandlungstag, am Dienstag, hatte Roth auf eine Reihe von Begriffen und Äußerungen von Compact verwiesen, die »nichts Mehrdeutiges« hätten, wie tagesschau.de berichtete. So könne man die Formulierung »Umvolkung hin zu einer Mischrasse« nicht anders auslegen als rassistisch. Das Verbot hatte das Ministerium vor knapp einem Jahr damit begründet, Compact verbreite »antisemitische, rassistische, minderheitenfeindliche, geschichtsrevisionistische und verschwörungstheoretische Inhalte«. Die Zeitschrift nehme eine »aggressiv-kämpferische Haltung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung« ein und propagiere ein »völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept«.

Die Gegenseite wies Roths Einlassungen als Polemik zurück. Compact-Anwalt Ulrich Vosgerau behauptete, die aufgeführten Textstellen ließen kein »politisches Konzept erkennen, welches ein verfassungsfeindliches Ziel« verfolge. Elsässer und seine Ehefrau warfen dem Ministerium vor, willkürlich Textstellen zu zitieren. »Ich muss mich beschweren über die Einseitigkeit«, rief Stephanie Elsässer aus. Sie lasse sich nicht unterstellen, »dass ich ethnische Unterschiede mache«.

Vosgerau hatte sich schon am Dienstag bemüht, die Textsammlung des Ministeriums als wertlos darzustellen. Was da zitiert werde, dürfe man alles so sagen, es sei alles legal. Und Elsässer hatte erklärt: »Was zitiert worden ist, ist nicht Compact.« Es handle sich um »Misstöne« in einer »Gesamtkomposition«. Man habe zwar rechte Autoren, aber Compact als Gesamtprodukt sei weder rechts noch rechtsextrem, behauptete der Chefredakteur.

Am Mittwoch hielt Elsässer es wohl nicht für nötig, sich von einem dieser rechten Autoren zu distanzieren. Im Gegenteil: So sei Martin Sellner, Kopf der faschistischen »Identitären Bewegung Österreich« regelmäßig Autor seines Magazins, »weil er uns ein junges Publikum zuführt«, sagte Elsässer. Als Chefredakteur lasse er auch andere Meinungen als seine eigene zu, mache sich aber nicht alle Inhalte von Sellner zu eigen. Der Österreicher sei »mutig und unbestechlich«, in gewisser Weise »der Rudi Dutschke von rechts«. Sellner hatte im November 2023 an dem sogenannten Potsdamer Treffen rechter Kreise teilgenommen und dort »Remigration« propagiert, also die massenhafte Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund.

Am ersten Verhandlungstag sollte vor allem geklärt werden, ob das Vereinsrecht, auf dem das Verbot basiert, auf ein Medienunternehmen anwendbar ist. Dabei ging es um die Frage, ob Compact ein solches ist oder eine eigene Agenda verfolgt. Um ausreichend Zeit für den komplexen Fall zu haben, haben sich die Richter des BVerwG auch diesen Donnerstag als Verhandlungstag freigehalten. Derzeit ist nicht damit zu rechnen, dass noch in dieser Woche ein Urteil gesprochen wird. Es könnte aber ein Verkündungstermin festgesetzt werden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (11. Juni 2025 um 20:31 Uhr)
    Darf man den Äußerungen des Anwalts des Ministeriums, Wolfgang Roth, entnehmen, die interkulturelle Identität des deutschen Volkes sei in Gefahr, aber Elsässer darf sie nicht retten? Oder wie soll man seine Einlassung interpretieren? Hier: https://www.schule-bw.de/themen-und-impulse/migration-integration-bildung/interkulturelle_oeffnung/unterricht/interkulturelle-identitaetsarbeit.html wird »Interkulturelle Identitätsarbeit« thematisiert. Kann mal wer den Begriff »interkulturelle Identität« erläutern und / oder definieren? Ich fang' nix damit an.

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