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Aus: Ausgabe vom 12.06.2025, Seite 4 / Inland
Verfassungsschutzbericht

Dienst droht »Jüdischer Stimme«

Verfassungsschutz markiert Organisation wegen Protest gegen Israel als »extremistisch« und unterstellt Antisemitismus
Von Philip Tassev
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Vorsicht, Extremismus: Wer für ein freies Palästina eintritt, landet schnell auf der Liste des Geheimdienstes

Wer sich auf die Seite der Unterdrückten stellt und gegen Krieg, Landraub und Vertreibung engagiert, ist bundesdeutschen Geheimdiensten schnell ein Dorn im Auge. Das ist so weit nichts Neues. Dass aber selbst einer jüdischen Organisation »Extremismus« unterstellt wird, wenn sie Israels koloniale Praxis ablehnt, sollte einer kritischen Öffentlichkeit – falls vorhanden – zu denken geben. So kann man dem aktuellen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz entnehmen, dass der Verein »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« »gesichert extremistische Bestrebungen« verfolgt. Grund: Die Unterstützung des BDS-Netzwerkes. Das Kürzel steht für »Boykott, Desinvestition, Sanktionen«. Die 2005 nach dem Vorbild der gegen das südafrikanische Apartheidregime gerichteten internationalen Kampagne ins Leben gerufene BDS-Bewegung ruft zum einen dazu auf, Beziehungen zum Staate Israel und seinen kulturellen und akademischen Institutionen zu kappen und zum anderen die Produkte von Konzernen zu boykottieren, die von der Besetzung Palästinas profitieren oder an ihr beteiligt sind.

Das ist nach Ansicht des Bundestages »antisemitisch«. In dem im Mai vom Parlament angenommenen Anti-BDS-Antrag wird behauptet, die Aufrufe zum Boykott sowie Aufkleber auf israelischen Produkten, die vom Kauf abhalten sollen, erinnerten »an die schrecklichste Phase der deutschen Geschichte«.

Diese »Argumentation« macht sich der Verfassungsschutz indirekt zu eigen, wenn er den in die Rubrik »säkularer propalästinensischer Extremismus« einsortierten Gruppen unterstellt, »in völkerverständigungswidriger Weise« gegen ein »Existenzrecht Israels« zu agitieren. Besonders entlarvend ist folgende Charakterisierung jener »Form des Extremismus«, die sich darin äußere, »dass die israelische Politik und das Handeln der israelischen Sicherheitskräfte gegenüber der palästinensischen Bevölkerung bei den (bisweilen persönlich oder familiär betroffenen) Anhängerinnen und Anhängern in Teilen starke negative Emotionen gegenüber Israel auslösen«. Diese »negativen Gefühle« würden »aufgrund der jüdischen Prägung Israels« wiederum auf Juden insgesamt projiziert. Hinter »vermeintlicher Kritik am israelischen Staat« verberge sich »nicht selten auch eine antisemitische Agitation, da nicht zwischen dem staatlichen Handeln und der jüdischen Religionsgemeinschaft differenziert wird und auch judenfeindliche Stereotype auf Israel übertragen werden«.

Nun gehört es gerade zum Wesen des Zionismus, den Staat Israel als nationale Heimstätte aller Juden in der Welt darzustellen. Jede Forderung nach einer demokratischen Republik, in der alle Staatsbürger unabhängig von Nationalität oder Religion die gleichen Rechte haben, wird als »Zerstörung des jüdischen Staates« denunziert. Es gibt zweifellos Palästinenser, die der zionistischen Propaganda auf den Leim gehen und »nicht zwischen dem staatlichen Handeln und der jüdischen Religionsgemeinschaft« differenzieren, wenn die Armee eines Staates, der sich als »jüdisch« bezeichnet, tagtäglich ihre Freunde und Familien bombardiert. Das mag antisemitisch sein, hat aber eine völlig andere Ursache als der eliminatorische Rassenwahn der Hitlerfaschisten.

Vollends absurd wird es, wenn der Vorwurf des Judenhasses gegen Juden erhoben wird. Der Vorsitzende der »Jüdischen Stimme«, Wieland Hoban, erklärte dazu am Mittwoch gegenüber junge Welt: »Der Verfassungsschutz, dessen rechte Verstrickungen längst bekannt sind, bekräftigt mit dieser Einstufung die Missachtung des Völkerrechts durch den deutschen Staat.«

Wer für Gerechtigkeit und die Freiheit der Palästinenser kämpfe, werde zum Extremisten erklärt, »dabei ist Deutschlands materielle und politische Beteiligung an einem Genozid viel extremer als alles, was die ›Jüdische Stimme‹, BDS und andere Aktivisten tun«, erklärte Hoban. Die »rassistische Staatsräson« fordere die Entmenschlichung der Palästinenser, und der vermeintliche Kampf gegen Antisemitismus, der dies durchsetzen soll, richte sich »auch gegen Juden, wenn sie sich solidarisch erklären«.

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