»Hier werden die Frauen wie Abfall behandelt«
Von Susanne Knütter
Es gilt bei Linksliberalen mittlerweile als progressiv, zwischen Zwangsprostitution und Sexarbeit zu unterscheiden. Erstere sei schlecht, aber bereits verboten. Worum es angeblich geht, sind gute Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit, die ja auch nur Lohnarbeit sei. Kann man das so trennen?
Es wird da versucht, die böse Prostitution – das ist dann alles, was mit Menschenhandel und Zuhälterei zu tun hat – von der guten Prostitution – die nennen sie dann Sexarbeit – zu trennen. Das ist allerdings eine Trennung, die sich nicht an der Lebensrealität von Frauen in der Prostitution orientiert, sondern an einer Ideologie. Demnach könne man Prostitution vollziehen wie eine Dienstleistung, wie Haare waschen oder Füße massieren. Die Realität ist, dass es den Frauen eben nicht gelingt, in der Prostitution den Körper zu extrahieren und quasi zur Benutzung zu vermieten und ihn dann wieder zurückzunehmen. Die meisten dieser Frauen sagen, sie empfinden die Prostitution als serielle Vergewaltigung. Eine Vergewaltigung, zu der sie Ja sagen, aus vielerlei Gründen. Aber da ist eben kein Konsens. Die Übereinkunft ist ein Handel, Sex gegen Geld und nicht Begehren gegen Begehren. Der Begriff Sexarbeit negiert diese Realität. Viele betroffene Frauen nehmen ihn als beleidigend und als ignorant wahr.
Sagen diese Frauen das so?
Wenn die sich an uns wenden, dann ist das oftmals nicht der erste Versuch, sich Hilfe zu suchen, sondern wir kommen irgendwann in der Kette. In Beratungsstellen oder Einrichtungen für Prostituierte dominiert inzwischen oft dieses Gerede von der Sexarbeit. Wir haben immer wieder Frauen, die dann sagen: Ich war dort, und die Beraterin hat gar nicht verstanden, worum es mir geht. Den Frauen wird manchmal einfach angeboten, bei einer Betreiberin zu arbeiten, wo man ohne Zwang arbeiten könne.
Es gibt ganze Verbände, die sagen, sie vertreten Sexarbeiterinnen, die das alles freiwillig machen.
Viele Frauen in der Prostitution sagen, sie tun es »freiwillig«. Zum Beispiel, weil die Familie im Herkunftsland dringend Geld braucht. Oder weil der Freund mit nach Deutschland gereist ist und sie sich hier eine Zukunft aufbauen wollen. Diese Freiwilligkeit muss man offensichtlich hinterfragen. Nicht jede Frau wird von einem Zuhälter geprügelt. Es sind oft stille Zwänge, die sie in diese Situation bringen. Aber es sind eben Zwänge. Frauen, die im Bordell sind, haben Tagesmieten von bis zu 180 Euro. Wenn die Frau erst mal fünf Freier nur für die Zimmermiete bedienen muss, entsteht ein enormer Druck. Wir haben immer wieder Frauen, die das nicht schaffen. Das bedeutet, die nächste Nacht sind sie auf der Straße – bis sie wieder das Geld haben, das Zimmer zu mieten. Das nimmt gerade stark zu.
Das Prostituiertenschutzgesetz schreibt vor, dass die Frauen auch einen privaten Wohnraum haben müssen.
Aber das ist in der Praxis meist nicht so. In der Regel schlafen die Frauen in den Bordellen oder bordellartigen Betrieben. Unsere Beobachtung ist, dass Frauen, die sich in diesen Sexarbeitsverbänden organisieren, häufig Frauen sind, die in den Randbereichen der Prostitution arbeiten. Sie müssen nicht ihren gesamten Lebensunterhalt durch Prostitution bestreiten, wie 90 Prozent der in der Prostitution lebenden Frauen. Also das sind Frauen, die einen Job haben, die darüber in der Sozialversicherung sind und mit Prostitution zusätzliches Geld erwirtschaften. Das ist eine komplett andere Lebenslage als die einer Frau, die keine andere Absicherung hat. Eine Studentin, die ab und an im Escortbereich arbeitet und sagt, damit verdiene ich mir 1.000 Euro extra, ist krankenversichert. Sie hat eine Unterkunft. Ihre Lebenssituation unterscheidet sich grundsätzlich von der einer Rumänin, die nichts dergleichen hat. Wenn sie nicht mitspielt, hat sie entweder keine Wohnung mehr oder nichts zu essen. Sie finden in diesen ganzen Sexarbeitsverbänden nahezu keine Frau, die aus dem Personenkreis kommt, der die große Mehrheit der in der Prostitution Tätigen stellt: Frauen aus dem Ausland, insbesondere aus Osteuropa, nicht krankenversichert, nicht angemeldet, kein fester Wohnsitz, kein anderes Einkommen. Aber es sind ganz viele Betreiberinnen in diesen Vereinigungen. Ich würde sagen, dass Betreiberinnen den Hauptteil der dort engagierten Prostituierten ausmachen. Das sind Frauen, die früher selbst gearbeitet haben und sich irgendwann mit einem bordellartigen Betrieb selbständig gemacht haben. Dort arbeiten dann die rumänischen, bulgarischen oder ungarischen Frauen. Die Gründerinnen dieser ganzen Sexarbeitsverbände sind zumeist Betreiberinnen gewesen. Die haben schlicht ein wirtschaftliches Interesse, dass die Sexindustrie so weiterläuft.
Es heißt, die Prostitution habe mit dem Prostitutionsgesetz von 2001 enorm zugenommen. Was ist da passiert?
Damals wurde die Prostitution liberalisiert. Das haben die Betreiberinnen und Betreiber vorangetrieben. Die haben gesagt, wir können nur so unsicher arbeiten, weil das Geschäft zwischen Prostituierter und Freier rechtlich sittenwidrig ist. Und deshalb können wir unser Geld nicht einklagen. Sie haben argumentiert, wenn ein Raum besonders arbeitnehmerfreundlich ausgestattet wird, zum Beispiel mit einer Dusche und einem Waschbecken, dann machen wir uns der Förderung der Prostitution schuldig. Deshalb muss das alles weg. Und wenn das alles weg ist, dann können sich die Prostituierten sozialversichern, und dann läuft das alles in geordneten Bahnen. Und der Gesetzgeber hat sich da gerne überreden lassen. Damit fielen die Sittenwidrigkeit und das Verbot der Förderung der Prostitution. Und prompt sind die Zahlen explodiert. Gleichzeitig kam die EU-Osterweiterung. Osteuropäer durften hierzulande zunächst nur selbständig arbeiten. Prostitution war eine selbständige Tätigkeit, für die man keine Sprachkenntnisse und kein Startkapital brauchte. Für die deutschen Prostituierten war da auf einmal eine Konkurrenz. Wo die Grenzen sind und was normale Preise sind, wussten die Frauen aus Osteuropa nicht. Deutsche Prostituierte haben mir damals erzählt, für 30 Euro machten sie nicht mal den ersten Knopf der Bluse auf. Sie sagten auch, die Freier würden immer unverschämter. Diese Frauen wurden aus dem Markt gedrängt.
Die sind dann ausgestiegen?
Viele wurden selbst Betreiberinnen, weil sie das Geschäft kannten.
Gab es mehr sozialversicherte Prostituierte?
Nein. Profitiert haben von dem Prostitutionsgesetz Betreiberinnen und Betreiber und diejenigen, die Prostitutionsstätten aufgemacht und unterhalten haben. Verloren haben die Frauen. Auch, weil die Freier gelernt haben, dass Sexkauf was ganz Normales ist. Also: Stell dich nicht so an, ich habe schließlich bezahlt.
Aber ganz reibungslos verlief diese Entwicklung nicht.
Mit dem Prostituiertenschutzgesetz wurde versucht, die offensichtlichsten Mängel des Prostitutionsgesetzes zu beheben. Etwa durch das Recht auf den privaten Wohnraum. Aber nach wie vor hat der allergrößte Teil der Osteuropäerinnen hier keinen eigenen Wohnsitz. Die Anmeldepflicht sollte den Frauen ermöglichen, die hier geltenden Regeln kennenzulernen. Aber ob sich die Frauen anmelden oder nicht, ist wieder eine Kontrollgeschichte.
Wurde die Lage nicht besser?
Nein. Eine Verbesserung hätte bedeutet, ein Zuwiderhandeln zu sanktionieren. Also das Bordell zu schließen, wenn ein Betreiber die Frauen ohne Anmeldung bei sich wohnen lässt. Oder ein Bordell ohne Genehmigung zu schließen. All das findet nicht statt, und es läuft einfach weiter wie vorher. Ich wüsste nicht, wie es noch schlimmer werden könnte.
Welche Entwicklungen gibt es auf der Seite der Freier?
Die wachsen in einer Gesellschaft auf, in der es nahezu normalisiert ist, sich eine Frau zur sexuellen Benutzung zu kaufen. Alles ist in Ordnung, wenn bezahlt wird. Und so verhalten sie sich auch. Wenn ein Mann seine ersten Erfahrungen in der Prostitution macht, dann lernt er da, dass er sexuelle Erregung mit einem Gegenüber erleben kann, das ihm kein Begehren spiegelt, sondern einfach aushält. Er übt eine Sexualität aus, die befreit ist von der Antwort des Gegenübers. Mir erzählen die Frauen, dass die Männer ihnen auf dem Handy einen Porno zeigen und sagen: Das will ich haben. Und das sind keine Kuschelfilmchen. Wenn die Frau an diesem Tag noch 100 Euro für die Miete braucht, wird sie es machen. Mit den Schäden bleibt sie allein. Der Freier sagt, alles klar, ich habe bezahlt. Der Staat sagt, wir sind nicht zuständig für diese Frauen, die sind ja hier, um zu arbeiten. Die Prostitutionsgesetzgebung ist im Grunde rassistisch. Die Aufmerksamkeit wäre eine ganz andere, wenn da 18jährige deutsche Mädchen in den Bordellen wären, die nach einem halben Jahr drogenabhängig und psychisch krank sind. Aber es sind eben andere: Roma, Bulgarinnen, Türkinnen. Die werden im Heimatland entsorgt, wenn sie hier nicht mehr vermarktbar sind.
Mittlerweile wird auch behauptet, Sexarbeit wäre eine Art Sorgearbeit für einsame Männer.
Das lässt sich nicht mal bei den Studentinnen, die es im Nebenerwerb machen, ernsthaft behaupten. Auch von denen haben wir immer wieder welche in der Betreuung.
Manche Vertreter der Ideologie der Sexarbeit räumen ein, Lohnarbeit müsse generell abgeschafft werden, aber solange es die gibt, sei eben auch Sexarbeit normal.
Das ist eine rechtfertigende Konstruktion, die nichts mit der Lebensrealität zu tun hat. Neulich hat eine Ärztin bei uns eine Prostituierte gefragt, warum sie so traurig ist. Die ist ausgeflippt und hat gesagt: Wie würden Sie gucken, wenn Ihnen gerade jemand in den Mund geschissen hätte?
Gegen das sogenannte nordische Modell wird eingewandt, es würde die Bedingungen für die Frauen noch verschlechtern.
Neulich habe ich eine Prostituierte aus Schweden getroffen, die hier mal ihr Glück versuchen wollte. Nach zehn Tagen fuhr sie wieder heim, weil sie gemerkt hat: Hier werden die Frauen wie Abfall behandelt. In Schweden haben sie eine Gesetzgebung, die Sexkäufer kriminalisiert und Frauen entkriminalisiert. Das verändert das Machtgefälle erheblich. Die Frauen können sich einfacher Hilfe suchen, und die Freier sind wesentlich zurückhaltender.
Es bleiben also nicht einfach die besonders aggressiven Freier übrig?
Unsere Beobachtung ist, dass in den Ländern, in denen das Sexkaufverbot eingeführt wurde, die Haltung vorherrscht, dass nur Loser sich Frauen zur sexuellen Benutzung kaufen. Und ein Mann, der das in einem solchen Umfeld macht, verhält sich anders als einer, der sagt: Das ist mein gutes Recht. Die Position der Frau ist einfach eine andere.
Prostitution gibt es trotzdem.
Aber es gibt sie nicht mehr in dieser Unverfrorenheit wie bei uns. Und es gibt den Menschenhandel nicht in dieser krassen Form. Er ist ja quasi straffrei bei uns. Polizisten sagen uns, das ist ein absolut »sicheres Delikt«, weil es praktisch nicht kontrolliert wird und die Verfahren so schwierig sind. Es braucht, um ermitteln zu können, die Aussage der Frau.
Die Gesetzeslage verhindert die Durchsetzung von Regeln?
Ich höre von Polizisten: Wenn wir kommen, ist das für die Zuhälter nette Unterhaltung. Wir haben gesetzliche Regelungen, die das möglich machen.
Was halten Sie von der Aktionswoche »Hurentag«, die von den Sexarbeitsverbänden organisiert wird?
Der »Hurentag« ist ein Feiertag für alle, die zuhälterisch unterwegs sind. Nicht für die Frauen, die in der Prostitution ausgebeutet werden. Das Problem ist, dass Grausamkeit der Prostitution inhärent ist. Diese Gewalt ist ein Teil der Prostitution. Das, was wehtut, ist nicht der Rahmen und der Ort, an dem Prostitution stattfindet, sondern das, was Prostitution ist.
Sabine Constabel ist Sozialarbeiterin und im Vorstand des Vereins »Sisters«
Webseite: https://sisters-ev.de/#infos
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Leserbrief von K.Groß (12. Juni 2025 um 12:16 Uhr)Der Artikel zur Realität in der Prostitution war spitzenmäßig und spiegelt wohl eher das wieder, wie es in der Realität ist. Im Gegensatz dazu steht Ihr Artikel zum Internationalen Hurentag, der mir das Thema etwas verharmlost und an manchen Stellen den Eindruck hinterlässt, dass die Frauen, die Sex verkaufen (müssen), es größtenteils freiwillig tun. Dies ist leider nicht der Fall.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Petra L. aus Thyrow (12. Juni 2025 um 10:41 Uhr)Danke für diesen Artikel! Wie eine Zeitung sich gleichzeitig »marxistisch« nennen und von »SexARBEIT« schreiben kann, ist mir schon immer ein Rätsel gewesen. Wie lässt sich Prostitution z. B. mit dem Satz von Engels, »Arbeit ist das, was den Menschen erst eigentlich zum Menschen macht« vereinen? Ich hoffe sehr, dass dieses Interview eine Wende in der Haltung der Redaktion zur Prostitution einleitet. Wer es noch genauer wissen will, als in dem Interview dargestellt, dem empfehle ich das Buch »Mythos Sexarbeit« von Katharina Sass.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Margot M. aus Frankfurt am Main (11. Juni 2025 um 20:57 Uhr)Herzlichen Dank dafür, dass Sie endlich die Realität der extremen Ausbeutung, Demütigung, systematischen Misshandlung und der gesellschaftlichen Herabwürdigung von Frauen in der Prostitution zur Kenntnis nehmen und darüber berichten!
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