Ernteausfall durch Befall
Von Oliver Rast
Possierlich wirken sie, die kleinen fliegenden Insekten mit ihren treudoofen Kulleraugen, ihrem länglichen Körper samt transparenten Flügeln und zierlichen Beinchen. Aber, Vorsicht! Die Schilfglasflügelzikaden sind Überträger der Pflanzenkrankheit Stolbur. Im Extremfall bedeutet ein Befall einen Totalausfall der Ernte, berichtete das Onlinefachportal Topagrar.de am Dienstag. Besonders betroffen sind dabei Kartoffeln und Zuckerrüben, aber auch Möhren und weitere Gemüsearten.
Was passiert mit infizierten Beständen? Die Pflanzen welken, »Wurzeln und Knollen werden gummiartig«, heißt es in einem Beitrag vom Montag auf Tagesschau.de. Ferner litten Geschmack und Qualität, etwa durch geringeren Zuckergehalt. »Hotspot« der Attacken der Zikaden sind Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Das Insekt, das zur Ordnung der Schnabelkerfen gehört, dürfte aus Frankreich eingewandert sein, wurde Johannes Zehfuß am Montag in Bild zitiert. Extra bedrohlich sei, dass sich die invasive Schilfglasflügelzikade evolutionär rasant entwickle und es an effektiven Bekämpfungsstrategien fehle, so der Vizepräsident des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Pfalz Süd weiter. Ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums in Stuttgart sieht auf dpa-Nachfrage eine »ernste Bedrohung« für die Versorgung mit regionalen Produkten aus dem Acker- und Gemüseanbau. Mehr noch, die Umweltreferentin des Landesbauernverbands Baden-Württemberg, Isabell Pergner, befürchtet gleichfalls dpa zufolge, dass »in einigen Betrieben der Fortbestand des Anbaus in Frage steht.«
Das bestätigte auch der Großagrarier und Präsident des Deutschen Bauernverbands am Montag in einem Statement. Laut Joachim Rukwied seien 75.000 Hektar Zuckerrüben durch die Zikade gefährdet, das sei zirka ein Viertel der deutschen Anbaufläche. Und nach Angaben der Union der Deutschen Kartoffelwirtschaft (Unika) wurden rund 65.000 Hektar als Äcker eingestuft, in denen Schilfglasflügelzikaden in diesem Jahr vorkommen und Kartoffeln infizieren könnten. Das entspreche 23 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche für das Grundnahrungsmittel in Deutschland, erklärte Verbandsgeschäftsführer Sebastean Schwarz am Montag gegenüber verschiedenen Medien. Bereits in der Maiausgabe der Unika-Fachzeitschrift »Kartoffelbau« hatte Schwarz eine »Gesamtstrategie« gegen den Überträger bakterieller Krankheiten auf die Erdäpfel angemahnt. Denn die Probleme mit Zikaden im Kartoffelanbau würden seit 2022 »ungebremst zunehmen.«
Ein Hoffnungsschimmer aus Sicht der Unika: Anträge auf Ausnahmegenehmigungen für bestimmte Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln seien durch das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) positiv beschieden worden. Beispielsweise Ende Mai die Notfallzulassung für ein Insektizid vom Agrarmulti Bayer, das gegen stechende und saugende Kerbtiere wirken soll. Pergner vom Landesbauernverband im Musterländle ist skeptisch. Die finale Bekämpfung einer invasiven Art sei mittlerweile praktisch unmöglich. Verbraucher in Deutschland müssten aufgrund drohender Knappheit bei Kartoffeln und Zuckerrüben mit höheren Preisen rechnen.
Akut ist die Situation bei Acker- und Gemüsebauern auch in Österreich. Dort zerfrisst der Rübenderbrüssler als heimischer Rüsselkäfer bevorzugt Zuckerrüben. Der »Schädling« gilt als gefährlicher als die Schilfglasflügelzikade. Der Käfer meidet bislang den Grenzübertritt nach Deutschland, findet hierzulande nicht die passenden Umweltbedingungen vor, sagen Zuckerrübenanbauer. Nun denn, dann bleibt es bei der bäuerlichen Abwehr des possierlichen Insekts mit den Kulleraugen.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (11. Juni 2025 um 09:03 Uhr)Und wieder mal der gleiche alte Reflex der großkapitalistischen Weltzerstörer: Noch mehr Chemie! Vielleicht mal ein anderer Umgang mit der Natur? Monsanto bewahre!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (10. Juni 2025 um 21:58 Uhr)In »Maß und Mitte« (www.jungewelt.de/beilage/art/501185) beschreibt Daniel Bratanovic anschaulich die Wirkung des Zellgifts Ethanol. Die Zucker sind Kohlenhydrate mit sehr ähnlichen Wirkungen: »Wird täglich zu viel Zucker gegessen, hat das negative Auswirkungen auf den Körper. Es ist ein schleichender Prozess. Veränderungen zum Beispiel in der Leber werden anfangs gar nicht bemerkt.« (https://www.swr.de/swr4/tipps/zucker-ungesund-weniger-zucker-essen-100.html). Die Leber leidet also nicht nur beim Saufen. »In Deutschland sind rund zwei Drittel (67%) der Männer und die Hälfte (53%) der Frauen übergewichtig (BMI ≥ 25 kg/m2). Ein Viertel der Erwachsenen sind stark übergewichtig (adipös; BMI ≥30 kg/m2), das sind 23% der Männer und 24% der Frauen. Die Prävalenz von Adipositas nimmt mit dem Alter zu. Die Prävalenz von Adipositas ist wesentlich geringer bei Personen mit hohem sozioökonomischem Status. Die Prävalenz von Adipositas hat in den letzten zwei Dekaden weiterhin zugenommen, besonders bei Männern und im jungen Erwachsenenalter.« (https://adipositas-gesellschaft.de/ueber-adipositas/praevalenz/). Hat die Evolution mit der Schilfglasflügelzikade etwas bedacht? Packt sie die Zuckerrübe an der Wurzel und senkt damit die Prävalenzrate von Fettleibigkeit? Was meit Herr Hirschhausen dazu? Gibt es bald den Lauterbacher (sic!) Tropfen, die Kartoffelschnaps Spirituose (https://www.lauterbacher-tropfen.de/kartoffelschnaps-spirituose-0-70l-32-vol), nicht mehr? wäre es nicht sinnvoller, das ganze Alkohol-Gift-Ausgangszeug mit Glyphosat plattzumachen, als noch mehr Giftzeug von Bayer in Verkehr zu bringen?
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (11. Juni 2025 um 18:07 Uhr)Der Artikel beschreibt ein ernsthaftes Problem, sind doch die befallenen Kulturen aus unserer gegenwärtigen Ernährung nicht einfach so wegzudenken. Spötteln wird da nicht helfen, intensives Nachdenken schon, was man naturschonend tun kann, um des Problems Herr zu werden. Wir werden infolge des Klimawandels noch viele ähnliche Fragen beantworten müssen und kaum eine von ihnen wird wohl die Chemie beantworten können. Vielleicht kann uns aber die Natur selber einen Tipp geben? Denn bisher fand sie noch für jeden, der sich durch die Welt frisst einen, der auch ihn fressen kann.
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