Gegründet 1947 Sa. / So., 14. / 15. Juni 2025, Nr. 135
Die junge Welt wird von 3011 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 11.06.2025, Seite 4 / Inland
Propaganda und Justiz

Das gehört sich wirklich nicht

Dresden: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Exvizekanzler Habeck wegen Verleumdung des BSW
Von Nico Popp
imago807200498.jpg
Einsichten zur Frage, wer »aus Moskau und von Putin bezahlt« wird: Robert Habeck (Berlin, 13.3.2025)

Seit 2022 ist es zur Routine geworden, dass Abweichungen vom Regierungs- und NATO-Standpunkt in allen Fragen, die in irgendeiner Form den Krieg in der Ukraine bzw. die Zuspitzung der deutsch-russischen Beziehungen berühren, mit der Denunziation gekontert werden, die Abweichung erkläre sich aus einem sinistren Nahverhältnis des oder der Betreffenden zu »Moskau« oder »Putin«. Die Verdächtigungen erfolgen amtlich, halbamtlich und über die angeschlossenen Medien. Insbesondere das sich als progressiv verstehende politische Spektrum fahndet intensiv nach Vaterlandsverrätern.

Robert Habeck wird sich also gar nicht viel dabei gedacht haben, als er am 30. August vergangenen Jahres – damals noch Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler – bei der Abschlussveranstaltung der Grünen zum sächsischen Landtagswahlkampf im Dresdner Rundkino – stehend, Mikro in der Hand und wie immer von allen Anwesenden am meisten ergriffen von der eigenen Rede – zur Anklage ansetzte. In der Ampelregierung sei niemand »korrupt« und »gekauft« – »im Unterschied zu AfD und BSW«. Anfeuernder Beifall brandete auf. In den hinein rief Habeck, »jeder« wisse doch, »dass die direkt aus Moskau und von Putin bezahlt werden«. Er, Habeck, »akzeptiere« andere Meinungen; »das gehört zu einer Demokratie dazu, auch prinzipiell anderer Meinung zu sein«. Und selbstverständlich, so der Minister großzügig, »darf man auch eine andere Meinung zur Unterstützung der Ukraine haben«. Um dann hinzuzusetzen: »Sich aber für seine Meinung bezahlen zu lassen, im Internet Stimmen zu kaufen, Trollarmeen aufzubauen, eine Meinung gekauft zu bekommen – das ist widerlich und das gehört sich nicht. Und wir wissen, dass AfD und BSW genau so bezahlt werden.« Wieder Beifall.

Dem grünen Publikum gefiel der Auftritt. Aber zumindest beim BSW fand man, dass Habecks zur Schau gestellte Gewissheit darüber, dass die Partei aus dem Ausland »bezahlt« werde, dann doch ein bisschen zu weit ging. Am 13. November ging bei der Dresdner Staatsanwaltschaft eine gemeinsame Strafanzeige des BSW und seiner Kochefin Sahra Wagenknecht wegen dieser Äußerungen ein. Am Dienstag teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass sie »wegen eines bestehenden Anfangsverdachts« ein Ermittlungsverfahren gegen Habeck eingeleitet habe – und zwar wegen Verleumdung zum Nachteil des BSW und »einer gegen Personen des politischen Lebens gerichteten Verleumdung«, womit Wagenknecht gemeint ist.

Habeck habe »inhaltlich unzutreffende« Behauptungen als Tatsachen ausgeben, heißt es demnach in der Anzeige, die offensichtlich nicht einfach vom Tisch gewischt werden konnte: Dafür hat Habeck sich etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt. Auch Habecks anwaltliche Vertretung scheint das so zu sehen: Sie vertritt laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft die Auffassung, bei den Äußerungen handele es sich »um eine strafrechtlich zulässige kritische Meinungsäußerung«. Das ist bereits ein Teilrückzug, denn Belege für das, was laut Habeck doch alle »wissen«, sind offensichtlich nicht zur Hand. »Es geht nicht um Beleidigung, sondern um offene Lügen und Verleumdung zur Manipulation des Wahlkampfes«, erklärte Wagenknecht am Dienstag gegenüber Bild.

Im Februar hat die Staatsanwaltschaft nach eigenem Bekunden die Bundestagspräsidentin darüber informiert, dass beabsichtigt sei, ein Strafverfahren gegen Habeck einzuleiten. Eine Entscheidung des Bundestages »zur beantragten Aufhebung der Immunität« von Habeck »wegen des Verdachts der üblen Nachrede« sei der Staatsanwaltschaft bislang nicht übermittelt worden. Für ein Ermittlungsverfahren wegen übler Nachrede muss die Immunität aufgehoben werden. Die Staatsanwaltschaft weiß, dass sie sich auch sonst gut absichern muss. Der letzte Satz der Mitteilung vom Dienstag lautet folglich: »Für Dr. Robert Habeck gilt die Unschuldsvermutung uneingeschränkt.«

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Was auch immer die Hintergründe sind: Der Verdacht richtet sich ...
    23.05.2025

    Tot in Madrid

    Exkanzleichef von Janukowitsch auf offener Straße ermordet. Im offiziösen Kiew herrscht Genugtuung

Regio:

Mehr aus: Inland

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!