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Aus: Ausgabe vom 11.06.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Spanien

Wie in alten Zeiten

In Spanien liefern sich Regierung und Opposition einen schmutzigen Krieg, dessen Ursprung in den vom Faschismus geerbten Staatsstrukturen zu suchen ist
Von Carmela Negrete
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Aufmarsch der Postfranquisten vom Partido Popular. Protest gegen die Regierung Sánchez (Madrid, 8.6.2025)

Plötzlich kocht das Thema in Spanien wieder hoch: die Korruptionsaffäre der rechtskonservativen Volkspartei (PP). Aber auch bei den Sozialdemokraten vom PSOE rumort es. Gegenseitige Schuldzuweisungen, ein schmutziger politischer Krieg, als würde das alte Zweiparteiensystem noch immer existieren. Viele Spanier fühlen sich dieser Tage in die Vergangenheit versetzt, in eine Zeit, in der sich beide Parteien an der Macht abwechselten, ohne dass sich viel geändert hätte.

Am Sonntag protestierten Tausende Menschen in Madrid unter wehenden spanischen Flaggen – wenn auch deutlich weniger als erwartet – gegen »die Mafia«, die sich nach Auffassung der Demonstranten in der Regierung eingenistet haben soll. Die Demonstration richtete sich gegen Premierminister Pedro Sánchez (PSOE), dessen Rücktritt gefordert wurde. Und natürlich ging es – wie so oft – auch um den Kampf »für die Freiheit«. Aufgerufen zur Kundgebung hatte der oppositionelle PP.

Dann der Paukenschlag am Montag: Der Oberste Gerichtshof Spaniens hat ein Verfahren gegen den Generalstaatsanwalt Álvaro García Ortiz eingeleitet – wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat. Der Generalstaatsanwalt wird in Spanien vom Regierungschef selbst ernannt. Laut einer Mitteilung des Gerichts soll García Ortiz eine ­E-Mail mit sensiblen, personenbezogenen Daten an die Presse weitergeleitet haben. Die E-Mail enthielt Informationen über den Unternehmer Alberto González Amador, den Lebenspartner von Isabel Díaz Ayuso, der Präsidentin der Autonomen Gemeinschaft Madrid und prominenten Vertreterin des PP.

Kloaken des Staates

Der »Fall González« ist eine von zahlreichen Korruptionsaffären, in die PP-Politiker verwickelt sind. González wird unter anderem Steuerhinterziehung vorgeworfen. Die Weiterleitung der E-Mail und die darauffolgenden Berichte beschädigten selbstverständlich das Image des PP just in einer Zeit, in der vor allem angebliche Korruption bei der anderen großen Volkspartei, dem PSOE, in Rede steht.

PP-Parteichef Alberto Núñez Feijóo sowie weitere führende Mitglieder der Rechtskonservativen werfen Premierminister Sánchez vor, die »demokratische Normalität« verlassen zu haben und schmutzige Mittel einzusetzen. Ende Mai wurde durch geleakte Whats-App-Audiodateien bekannt, dass eine Journalistin namens Leire Díez an Schmutzkampagnen gegen die Opposition beteiligt sein soll. Die Frau, die PSOE-Abgeordnete in der kantabrischen Gemeinde Vega de Pas war und in der Presseabteilung öffentlicher Institutionen wie des Uranunternehmens ENUSA arbeitete, soll in den Audiodateien der Staatsanwaltschaft Informationen über Richter, Staatsanwälte und Beamte der Guardia Civil angeboten haben. Und zwar im Gegenzug dafür, dass die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen gegen Sánchez’ Ehefrau oder dessen Bruder einleitet.

Inzwischen ist Díez aus dem PSOE ausgetreten. Die Journalistin behauptet, ihre Aussagen seien Teil einer journalistischen Recherche im Kontext der sogenannten Koldo-Affäre, doch diese Darstellung erscheint wenig glaubwürdig. Der PSOE-Berater Koldo García soll sich im Geschäft mit Atemschutzmasken – die Rede geht von vertraglichen Vereinbarungen in Höhe von 54 Millionen Euro – auf illegale Weise bereichert haben.

In Affären verstrickt war auch der PP während seiner Zeit an der Macht. Dabei geht es unter anderem um Versuche einer gezielten Lenkung der öffentlichen Meinung, in einigen Fällen mit Falschinformationen. In Spanien spricht man schon lange von einem »Staat im Staate«, von korrupten Netzwerken innerhalb der Sicherheitsbehörden, von den Kloaken des Staates. In der Vergangenheit wurden so gegen die linke Partei Podemos und gegen katalanische Unabhängigkeitsbefürworter Desinformationen verbreitet.

So soll laut El País Francisco Martínez, ehemaliger Staatssekretär für Sicherheit unter Mariano Rajoy (PP), in einem abgehörten Gespräch zugegeben haben, dass das angebliche Offshorekonto von Podemos-Chef Pablo Iglesias – auf das Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro ihm Hunderttausende Euro überwiesen haben soll – erstunken und erlogen war. Diese Falschmeldung, sagt Martínez, sei aber nicht direkt vom Innenministerium, sondern vom damaligen stellvertretenden Polizeichef Eugenio Pino verbreitet worden. Martínez selbst wurde vor kurzem freigelassen, nachdem die Staatsanwaltschaft erklärt hatte, die Beweisaufnahme abgeschlossen zu haben. Ihm wird vorgeworfen, den früheren PP-Schatzmeister ausgespäht zu haben – die ermittelnde Richterin fordert 15 Jahre Haft.

Premier untätig

Podemos wiederum wirft dem PSOE – zu Recht – Heuchelei vor. Pedro Sánchez hatte sich Ende April 2024 für einige Tage aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, nachdem Vorwürfe gegen seine Ehefrau bekanntgeworden waren, die er als haltlos zurückwies. Er sprach von einem gezielten »Lawfare«-Angriff – also dem Missbrauch juristischer Mittel zur politischen Diskreditierung. Doch seit seiner Rückkehr ist der angekündigte Wandel ausgeblieben: Weder wurde der Innenminister ersetzt, noch wurde – wie von der Linken gefordert – ein rechter Richter abgesetzt oder eine tiefgreifende Reform von Polizei und Geheimdiensten eingeleitet. Auch die überfällige Reform des Justizrats (CGPJ), der bei der Ernennung von Spaniens Richtern maßgeblich ist, blieb aus.

Sollte Sánchez zurücktreten oder seine Regierung wegen des Drucks auf den Koalitionspartner zerbrechen, dürfte es nach den kommenden Wahlen keine progressive Regierung mehr geben. Die Spanier, so scheint es, haben ein Goldfischgedächtnis. Längst ist vergessen, welche Partei in den vergangenen Jahrzehnten für die meisten Korruptionsfälle verantwortlich war. Laut aktuellen Umfragen würde der PP mit etwa 33 Prozent der Stimmen die Wahlen gewinnen – ein ähnliches Ergebnis wie 2023. Damals reichte es trotz Wahlsieg nicht zur Regierungsbildung, da der extrem rechten Partei Vox mit ihren zwölf Prozent die nötigen Sitze fehlten. Diesmal könnte Vox mit 14 Prozent leicht zulegen, während der PSOE auf 28 Prozent abrutschen würde. Damit wäre eine progressive Regierung rechnerisch nicht mehr möglich.

Hintergrund: Patriotische Polizei

In einem Interview von Mai 2022 hat der Historiker Pablo Alcántara angedeutet, dass die sogenannte patriotische Polizei, die falsche Tatsachen gegen politische Gegner wie Podemos oder katalanische Politiker in Umlauf gebracht hatte und die unter Regierungen sowohl des PP wie auch des PSOE aktiv gewesen sein soll, eine Kontinuität der Strukturen des spanischen Faschismus darstelle. Alcántara hat sich auf die Erforschung der franquistischen Repressionsapparate spezialisiert. Die Verfolgung von Oppositionellen war der Polizei anvertraut, die auch mit dem US-Auslandsgeheimdienst CIA kooperierte.

»Typen wie Villarejo sind das Endprodukt des franquistischen Repressionsapparats«, sagt Alcántara. »Im Sicherheitsapparat des Staates gelang es Leuten vom Schlage eines Villarejo, vom Franquismus zur Demokratie überzugehen, und zwar dank der weitverbreiteten Annahme, dass gegen den kriminellen Terrorismus, für den gegen den Staat alles erlaubt ist, nur ein uneingeschränkter polizeilicher Einsatz wirksam ist«, erklärt der Historiker im genannten Interview.

José Manuel Villarejo, geboren 1951, soll im Zentrum eines Netzwerks von korrupten Beamten gestanden haben, das sich bereicherte, indem es Informationen sammelten, die es an die Presse weitergab – alles im Auftrag von Politikern, manchmal auch Unternehmern. Villarejo, »der Deutsche«, wie ihn die antifranquistischen Aktivisten wegen seiner blonden Haare nannten, war während der Diktatur Mitglied einer geheim operierenden Abteilung der Polizei. 1975 wurde er sogar dekoriert, weil er an einer Operation teilnahm, an deren Ende drei Verhaftete hingerichtet und viele andere gefoltert wurden. Gegen Villarejo wurde von seiten eines der Opfer Klage wegen Verbrechen gegen die Menschheit in Tateinheit mit Folter eingereicht, die im September 2024 in aller Stille zu den Akten gelegt wurde. (cn)

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