Lulas kontrollierte Offensive
Von Volker Hermsdorf
Brasiliens sozialdemokratischer Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gibt sich kämpferisch. Er werde den Mercosur-Vorsitz, den er am vergangenen Freitag übernommen hat, nicht beenden, ohne das Abkommen der lateinamerikanischen Wirtschaftsorganisation mit der Europäischen Union zum Abschluss gebracht zu haben, erklärte Lula vorab. Bei seinem Besuch in Paris forderte er Präsident Emmanuel Macron am Donnerstag auf, den Widerstand gegen das Handelsabkommen aufzugeben. Frankreichs Staatschef, der offenbar weitere Bauernproteste und den Druck der heimischen Agrarlobby befürchtet, führt die Opposition innerhalb der 27 EU-Staaten an. Lula argumentiert dagegen, die Vereinbarung sei die beste Antwort der betroffenen Länder »mit Blick auf die Rückkehr des Unilateralismus und des Zollprotektionismus«.
Das Abkommen sei angesichts globaler Machtverschiebungen und wachsender protektionistischer Tendenzen, besonders durch die USA unter Donald Trump, wichtiger denn je. »Wir müssen uns mit Europa, Russland, China und den BRICS zusammenschließen, um nicht zum bloßen Anhängsel einer absteigenden Großmacht wie der USA zu werden«, so Lula. Brasilien will mit dem Handelsvertrag seine geopolitische Position stärken und sich als führender Akteur in Lateinamerika profilieren. Doch das Mercosur-EU-Abkommen bleibt ein zentraler Streitpunkt. Der Text des Freihandelsabkommens war zwar nach mehr als zwei Jahrzehnten Verhandlungen im Dezember 2024 zwischen Brüssel und den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay vereinbart worden, muss aber noch von den einzelnen EU-Staaten und dem EU-Parlament abgesegnet werden. Während Deutschland auf einen raschen Abschluss drängt, warnt Macron, dass der Text keine ausreichenden Umwelt- und Gesundheitsstandards garantiere, um unlauteren Wettbewerb zu verhindern.
Während Lula das Abkommen als wichtigen Schritt für Lateinamerika feiert, formiert sich dort und in Europa auch Widerstand von unten gegen die neoliberale Handelsagenda, weil diese vor allem den Interessen großer Agrarkonzerne und Finanzinvestoren diene. Landwirte in Frankreich, Belgien, Polen und Deutschland protestieren. Die weltgrößte Kleinbauernorganisation »La Via Campesina« kritisierte, der Vertrag begünstige vor allem Agrarmultis und zerstöre bäuerliche Versorgungssysteme, die derzeit Millionen Menschen mit Nahrung versorgen. Das aus Kleinbauern, Landarbeitern, Fischern, Landlosen und Indigenen aus mehr als 80 Ländern bestehende Bündnis warnt vor weiterer Verarmung der Landbevölkerung, weil Land, Wasser und Saatgut immer stärker zur Ware gemacht werden – und weil große, auf Export ausgerichtete Konzerne zunehmend die Kontrolle über die Nahrungsmittelversorgung übernehmen, dabei von Subventionen profitieren und die sozialen und ökologischen Schäden ihrer Produktionsweise auf die Allgemeinheit abwälzen.
Trotz starker Proteste ihrer Landwirte halten die meisten EU-Staaten am Vertrag fest – offenbar getrieben vom Wunsch nach Zugang zu den reichhaltigen Rohstoffvorkommen des Mercosur, darunter das für Elektroautos und digitale Geräte unverzichtbare Lithium. Lula sieht darin indes eine Chance, um sein Land als regionalen und globalen Akteur zu positionieren. Das Abkommen erleichtert es ihm, sich von der US-Vormacht zu lösen und die Rolle Brasiliens in den BRICS-Staaten auszubauen. Er betont, dass das Abkommen nicht nur ein Handelsvertrag sei, sondern auch ein geopolitisches Signal in Zeiten des Niedergangs der USA als Weltmacht. Kritiker bleiben jedoch dabei, dass der Vertrag kein Instrument für mehr soziale Gerechtigkeit sei, sondern ein neoliberaler Deal, der die Ausbeutung von Natur und Arbeitskraft befördere.
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