»Ohne Kontrolle ist der Vertrauensverlust groß«
Interview: Gitta Düperthal
Die neue Bundeswirtschaftsministerin wollte zunächst keine Auskunft darüber geben, an welchen Kapitalgesellschaften sie in welchem Umfang privat beteiligt ist. Der Verein Lobbycontrol beklagte eine »eklatante Regelungslücke«. Wie gläsern hätten Sie die Ministerin gern?
Katherina Reiche hat ihre Unternehmensbeteiligungen schließlich offengelegt. Uns freut, dass sie das freiwillig getan hat. Das löst aber das Grundproblem nicht. Wir können uns nicht auf freiwillige Offenlegungen verlassen, es braucht eine Regelung. Problematisch ist, wenn wir in der BRD gar nichts wissen: weder über Investmentportfolios von Ministerinnen und Ministern noch über die von Staatssekretärinnen und -sekretären; sogar weniger als über die Anlagen von normalen Abgeordneten. Die müssen regulär Beteiligungen an Unternehmen anzeigen, wenn sie mehr als fünf Prozent der Anteile daran halten. Andere Länder haben geregelt: Politikerinnen und Politiker müssen zumindest ab 10.000 Euro den Aktienbesitz offenlegen. Bei Regelungen der EU-Kommission kann man sich einiges abschauen.
Um welche grundsätzlichen Interessenkonflikte geht es?
Wir wissen nicht, ob Ministerinnen und Minister bei ihren Entscheidungen dem Wohl des Volkes dienen oder eventuell ihr eigenes Investment vergolden wollen. In Deutschland wird nur auf Selbstregulierung gesetzt.
Was hat Ministerin Reiche am Donnerstag offengelegt?
In ihrem Fall war es nicht so relevant, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Ihr Ministerium teilte mit: Die Ministerin besitze Anteile an einer Gesellschaft, die der familiären Vermögensverwaltung mit deren Immobilienbesitz diene. Sie besitze zudem Optionen im Wert von circa 3.000 Euro beim schwedischen Energieunternehmen »Ingrid Capacity«, das Batteriespeicher entwickelt, die sie gerade veräußere. Bis zu ihrer Ernennung als Ministerin war sie dort Mitglied des Board of Directors, ähnlich einem deutschen Aufsichtsrat. Ihr Engagement habe sie beendet. Bundesminister dürfen laut dem Gesetz keine Nebentätigkeiten ausführen, die ihre Arbeitskraft oder Neutralität beeinträchtigen.
Stellt Sie die Auskunft zufrieden?
Problematische Interessenkonflikte können wir nicht komplett ausschließen. Die Ministerin ist für Energie zuständig. Selbst wenn der Betrag nicht hoch ist, könnte das zu Verquickungen führen. Wir wissen nicht, was es mit dem Immobilienbesitz und der erwähnten Firma auf sich hat; welche weiteren Unternehmen möglicherweise involviert sind; auch nicht, welche Aktien Familienmitglieder der Ministerin besitzen, ihr Partner, die Kinder et cetera. In dieser Koalition kommen viele Minister aus der Wirtschaft. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat möglicherweise als langjähriger Medienunternehmer Interessenkonflikte. Die lassen sich auch nicht beheben, wenn er die Geschäftsführung verlässt und sie nun seiner Ehefrau überlässt. Im Fall des Digitalministers Karsten Wildberger, vor seinem Amtsantritt Chef von Mediamarkt-Saturn, ist nichts bekannt. Und welche Aktien besitzt eigentlich Kanzler Friedrich Merz?
Wie müsste »verbindliche Transparenz« künftig geregelt sein?
Man kann sich an Ländern orientieren, die es bereits geregelt haben. Damit das Vertrauen gegeben sein kann, dass Ministerinnen und Minister wirklich im öffentlichen Interesse handeln, und nicht etwa dem eigener Finanzen, sind zwei Aspekte wichtig: Es gilt, Transparenz für die Öffentlichkeit zu schaffen, jedoch auch intern in den Ministerien sollte Aktienbesitz verpflichtend offengelegt werden, um unabhängige Entscheidungen gegenüber Unternehmen gewährleisten zu können. Beides ist in der BRD nicht gegeben.
Es gibt grundsätzliche Kritik, dass Merz sein Kabinett mit Millionären besetzt hat. Ist vollständige Transparenz für das Regierungshandeln hinreichend?
Klar gibt es weitere Rollenkonflikte. Transparenzregeln sind aber in jedem Fall hilfreich, weil der Vertrauensverlust groß ist, wenn es keine Kontrolle gibt. Deshalb sollte es im Interesse der Regierung liegen, eine solche Regelung zu schaffen.
Aurel Eschmann ist Spezialist für Regulierung bei Lobbycontrol e. V.
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