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Aus: Ausgabe vom 10.06.2025, Seite 4 / Inland
Aufrüstung der Bundespolizei

Dobrindt will Taser

Innenminister kündigt zügige Beschaffung von Elektrodistanzwaffen für Bundespolizei an. Die Linke warnt vor Enthemmung bei Polizeieinsätzen
Von Kristian Stemmler
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Angeblich nicht tödlich: Elektrodistanzwaffe im Holster eines Einsatztrainers (Bochum, 23.9.2022)

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) drückt weiter aufs Tempo bei der Umsetzung seiner Aufrüstungsagenda. Am Wochenende hat er angekündigt, dass die seinem Ministerium unterstellte Bundespolizei baldmöglichst mit sogenannten Tasern versorgt werden soll. Dem waren Meldungen über – offenbar weder politisch noch religiös motivierte – Messerangriffe in München und Berlin vorausgegangen. Er sei davon überzeugt, dass der Einsatz der Elektroschockwaffen »zwingend notwendig ist«, erklärte Dobrindt gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vom Sonntag.

Dobrindt werde dafür sorgen, dass die für den Einsatz von Tasern notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen »noch schnell in diesem Jahr aufgesetzt werden« und das Geld für die Anschaffung zur Verfügung stehe. Die Geräte seien »ein geeignetes Mittel, um auf die gestiegene Bedrohung der Polizei im öffentlichen Raum zu reagieren«, behauptete der Minister. Sie wirkten »genau an der Schnittstelle zwischen Schlagstock als Nahwaffe und der Pistole als Fernwaffe«. Besonders bei Attacken mit Stichwaffen könnten Polizisten Angreifer »effektiver ausschalten« und »sich selbst besser schützen«.

Der Schutz der Beamten überwiegt aus Sicht von Regierung und Polizeilobby gegenüber den Rechten der Beschossenen. So bekam Dobrindt Schützenhilfe von der sogenannten Gewerkschaft der Polizei (GdP). Angesichts der »gestiegenen Gefahrenlage, insbesondere an Bahnhöfen, wie wir zuletzt in Hamburg erlebt haben« stellten Taser »ein wichtiges Einsatzmittel« dar, erklärte Andreas Roßkopf, GdP-Vorsitzender für die Bundespolizei, gegenüber der Rheinischen Post vom Wochenende. Am Hamburger Hauptbahnhof hatte vor zwei Wochen eine Frau mit einem Messer 18 Menschen verletzt. Die reaktionärere »Deutsche Polizeigewerkschaft« hat sich wiederholt für Taser ausgesprochen, zuletzt im April nach dem Tod eines 21jährigen im niedersächsischen Oldenburg durch Polizeischüsse.

Mit Skepsis reagierte Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD). Sie habe Zweifel, »ob der Einsatz weiterer Geräte wie Taser wirklich sinnvoll ist«, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Gerade in »Hochstresssituationen« könne »die Auswahl des geeigneten Einsatzmittels zu einer erheblichen Erhöhung der Komplexität im Einsatz führen«, gab Behrens zu bedenken. Darum habe Niedersachsen bisher auch nur seine Spezialeinsatzkräfte mit den Elektrowaffen ausgestattet.

Deutliche Kritik kam von der Partei Die Linke. Clara Bünger, rechtspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, verwies gegenüber der Rheinischen Post (online) auf »zahlreiche dokumentierte Todesfälle nach Tasereinsätzen, auch bei unbewaffneten oder verwirrten Personen«. Die angebliche Erfolgsquote sei »in der Praxis erschreckend niedrig«. Dobrindts Plan sei daher nicht nur falsch, sondern gefährlich. Taser wirkten nicht zuverlässig, »senken aber gleichzeitig die Hemmschwelle für Gewaltanwendung«, warnte Bünger.

Wie eine solche Waffe rechtssicher ins Bundespolizeigesetz eingebettet werden könne, sei bisher unklar, erklärte Irene Mihalic, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen und gelernte Polizistin, laut einem ARD-Bericht. Das Innenministerium müsse genau darlegen, welchen Nutzen Taser hätten. Die Polizeigesetze etlicher Bundesländer erlauben bereits den Gebrauch. Bei der Berliner Polizei sind die Waffen laut der Senatsinnenverwaltung seit Mai 2024 flächendeckend im Einsatz.

Der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge gab es in Deutschland seit 2021 mindestens zehn Todesfälle im Zusammenhang mit dem Einsatz von Tasern durch die Polizei. Das geht aus einem im März veröffentlichten Bericht hervor. Die Elektroschockgeräte werden weltweit gegen Demonstranten und politische Gegner eingesetzt, heißt es darin. Die Verwendung könne zum Tode führen oder schweres Leid verursachen, wie langanhaltende körperliche Behinderungen und psychische Belastungen. Betroffene erlitten demnach Verbrennungen, Taubheitsgefühle, Fehlgeburten, Schlaflosigkeit oder schwere Traumata.

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