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Aus: Ausgabe vom 10.06.2025, Seite 2 / Inland
»Veteranentag« am 15. Juni

»Tschentscher verrät seinen Eid als Arzt«

Hamburg: Protest gegen »Veteranentag« will am Rathausmarkt Zeichen für Friedenstüchtigkeit setzen. Ein Gespräch mit Holger Griebner
Interview: Martin Dolzer, Hamburg
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Traditionsbewusst: Der frühere SPD-Spitzenfunktionär und amtierende Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, im Veteranenbüro der Bundeswehr (Berlin, 3.6.2025)

In diesem Jahr finden erstmals bundesweite Veranstaltungen zum sogenannten Veteranentag statt. Was ist in Hamburg für kommenden Sonntag geplant?

Auf dem Rathausmarkt zelebriert die Bundeswehr an diesem Tag einen Beförderungsappell für Offiziere. Der 15. Juni wird an vielen Orten als »Veteranentag« begangen zu Ehren aller, die in der Bundeswehr gedient haben. Militärrituale vor unserem Rathaus und der anschließende Senatsempfang dienen der Normalisierung des Militärischen im Bewusstsein der Jugend, die bisher unlustig ist, ihr Leben an der Front zu riskieren. Frühere Kriegsdienstverweigerer wie der Hamburger Bürgermeister haben ihren zivilen Verstand verloren. Als Arzt verrät auch der jetzige Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher (SPD, jW) seinen hippokratischen Eid, wenn er das Feindbild Russland beschwört, Militäreinsätze weltweit rechtfertigt und den Beförderungs-Mummenschanz samt Veteranenhuldigung unterstützt.

Welches Interesse steht Ihrer Meinung nach hinter einer derartigen Militarisierung der Gesellschaft?

Bevor junge Menschen an der Front in ihren letzten Lebensstunden nach ihrer Mutter rufen, werden sie von unseren Regierenden im Interesse derjenigen nach Strich und Faden belogen, die den Krieg lieben – und vor allem daran verdienen. Systematisch wird ein Feind suggeriert. Der ist nicht nur im Manöver rot und landet immer im Osten in den frühen Morgenstunden. Insofern leben wir in Deutschland seit über 100 Jahren im Vorkrieg mit dem immer gleichen Feind, bis auf die Ernstfälle Weltkrieg eins und Weltkrieg zwei. Hemmungslose Aufrüstung, öffentliches Zurschaustellen militärischer Rituale und Kriegsverherrlichung haben bisher immer ins Verderben geführt. Deutsche Soldaten haben nichts zu suchen in Litauen, im Roten Meer oder im Pazifik vor Chinas Küste – und auch nicht auf dem Hamburger Rathausmarkt.

Wer profitiert am meisten von Militarisierung, Aufrüstung und Krieg?

Das sind Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall, Krauss-Maffei usw. sowie diejenigen, die auf Gewinne und Verluste vor-, in und nach Kriegen spekulieren, Vermögensverwalter wie Blackrock und deren Aktionäre. Zudem wächst mit der Verknappung der Jobmöglichkeiten im Zivilen das »Angebot« zum Töten und Sterben. Autobauer werden Panzerfahrer oder -produzenten. Zum Vorkrieg gehört auch, dass die jetzt oft olivgrünen Kriegsliebhaber generalstabsmäßig die Wahrheit töten, denn für eine Lüge möchte niemand sterben. Die deutsche Kriegslüge Nummer eins ist die vermeintliche Gefahr, die von Russland ausging und immer noch ausgehe. Diese quasi genetisch vererbte historische Lüge brauchten Kaiser Wilhelm II. und Hitler genauso wie diejenigen, die nach dem Ende der Sowjetunion jede Chance für Russlands Schwächung nutzten und nutzen.

Das Hamburger »Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung« hat für den »Veteranentag« eine Demonstration angemeldet. Gibt es dabei Schwierigkeiten?

Wir wollen für die Friedensfähigkeit in der Nähe des Rathausmarktes demonstrieren und unter anderem als verletzte und traumatisierte Veteranen verkleidet gegen die Verherrlichung des Krieges protestieren. Mit Reden, Theater und Musik wollen wir ein Zeichen für Friedenstüchtigkeit setzen. Bisher wird uns das Demonstrieren jedoch an jedem von uns vorgeschlagenen Ort in der Nähe des Rathausmarktes unter Vorwänden verweigert. Unter anderem benötige die Polizei riesige Areale als »Einsatzgebiet« und es würden Abbauarbeiten anderer vorheriger Veranstaltungen im Weg sein. Wir müssen davon ausgehen, dass es eine politische Weisung gegenüber der Versammlungsbehörde gibt, unsere Versammlung so weit wie möglich fernzuhalten. Ich fühle mich an G20 erinnert. Das Versammlungsrecht ist allerdings ein hohes Gut und wir werden, wenn es sein muss, vor Gericht gehen, um unseren Protest in Sichtweite des Rathausmarktes durchzusetzen. Die Menschen dort sollen sehen können, worum es uns geht.

Holger Griebner ist Mitglied des Hamburger »Forums für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung« sowie aktiv im »Arbeitskreis Frieden« der Gewerkschaft Verdi in Hamburg

.Interview: Martin Dolzer, Hamburg

Versammlung: Sonntag, 15.6., 12 Uhr, Hamburg, Jungfernstieg/Alsterarkaden

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