Stillstand auf Gleisen
Von Gerrit Hoekman
Auf niederländischen Gleisen ging fast nichts mehr: Ein Streik bei der staatlichen Bahngesellschaft Nederlandse Spoorwegen hat am Freitag ab vier Uhr morgens beinahe den gesamten Zugverkehr des Landes lahmgelegt. Wegen akuten Personalmangels schiebt die Belegschaft massiv Überstunden. Untragbar finden die Beschäftigten das. Sie fordern eine deutliche Lohnerhöhung – vier Prozent mehr Gehalt und einen Bonus von zweimal 120 Euro – und bessere Arbeitsbedingungen. Der Arbeitskampf soll bis Sonnabend um vier Uhr morgens andauern. Falls sich die Gegenseite nicht bewegt, soll er am Dienstag und Donnerstag weitergehen.
»Streik ist das allerletzte Mittel, das noch bleibt«, erklärte die FNV, die größte Gewerkschaft des Landes, am Donnerstag auf ihrer Internetseite. Seit Januar verhandeln die Gewerkschaften mit dem Staatsunternehmen über einen neuen Tarifvertrag für die 17.500 Bediensteten. Der alte ist bereits am 1. März abgelaufen. »Das Lohnangebot mit einer Erhöhung von 2,55 Prozent ist skandalös niedrig, da es weit unter Preissteigerungen und Inflation liegt«, empörte sich die FNV. Ein Job bei der Bahn werde immer unattraktiver. Offene Stellen blieben unbesetzt, was den Arbeitsdruck auf die Belegschaft drastisch erhöhe. Die Folge: Der Krankenstand sei hoch, und viele Kolleginnen und Kollegen würden sich nach einem anderen Job umschauen.
Am Dienstag hatten die Nederlandse Spoorwegen ein Ultimatum der Gewerkschaften kommentarlos verstreichen lassen. Daraufhin wurde für das Gebiet Mittlere Niederlande zum Streik aufgerufen. Ein schlauer Schachzug, denn dort liegt die Stadt Utrecht, ein Knotenpunkt, über den viele Verbindungen von West nach Ost und Nord nach Süd laufen. Somit waren die Strecken in anderen Regionen des Landes ebenfalls betroffen. Schienenersatzverkehr konnte die Bahngesellschaft angeblich nicht einrichten. »Ein Zug fasst tausend Personen, ein Bus nur fünfzig, daher ist das nicht möglich«, sagte ein Sprecher der Nederlandse Spoorwegen laut der öffentlich-rechtlichen NOS.
Menschenleere Bahnsteige bezeugten, dass die allermeisten Reisenden vorher Bescheid wussten, aufs Auto umstiegen oder sich rechtzeitig einen Platz im Flixbus sichern konnten. Der Autovermieter Enterprise meldete doppelt so viele Anfragen wie an einem normalen Freitag. Nur einige Ausländer hatten nichts vom Streik mitbekommen. »Unser Taxifahrer hat heute morgen gesagt, dass keine Züge fahren, deshalb haben wir keine Ahnung, wie wir nach Brüssel kommen sollen«, sagte ein ratloser US-Amerikaner, der mit seinen Freunden in Amsterdam festsaß, am Morgen des Streiktags gegenüber der Tageszeitung Het Parool. Der Intercity von Amsterdam in die belgische Hauptstadt fiel nämlich ebenfalls aus. Andere internationale Züge, etwa nach Berlin und Frankfurt am Main, fuhren jedoch. Auch die Verbindung vom Amsterdamer Hauptbahnhof zum Flughafen in Schiphol wurde nach einer Absprache zwischen den Gewerkschaften und dem Flughafenbetreiber weiter bedient, allerdings reduziert. Das führte laut der Tageszeitung AD zu Staus auf den Straßen nach Schiphol.
Die Gewerkschaften drohen bereits mit weiteren Streiks, am Dienstag im Westen der Niederlande und am Donnerstag im Osten. Am 16. und 17. Juni geht der Protest im Norden und im Süden weiter, falls die Bahngesellschaft bis dahin kein akzeptables Angebot unterbreitet. »Wir verstehen die Sorgen der Kollegen«, beteuerte das Unternehmen der NOS zufolge. »Maßnahmen zu ergreifen ist ein Recht. Wir bedauern jedoch, dass Passagiere davon betroffen sind. Wir waren und sind unserer Meinung nach noch nicht am Ende der Verhandlungen und möchten die Gespräche gerne wieder aufnehmen.« Dann hoffentlich mit einem besseren Angebot.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- ANP/IMAGO19.09.2024
Holland entdeckt den Arbeitskampf
- Robin van Lonkhuijsen/ANP/IMAGO03.05.2023
Gewerkschaftliche Doppelmoral
- Eva Plevier/REUTERS10.09.2022
Neue Runde im Bahnstreik
Regio:
Mehr aus: Kapital & Arbeit
-
Polizeigewalt in Panama
vom 07.06.2025 -
Korruptionsvorwurf gegen Beamte
vom 07.06.2025