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Aus: Ausgabe vom 07.06.2025, Seite 1 / Titel
Aufrüstung

Jugend ans Gewehr!

Bundesregierung nimmt Kurs auf Wehrpflicht. Zivilschutzbehörde verlangt ebenfalls Zwangsdienst und Milliarden Euro für Bunkerbau
Von Arnold Schölzel
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Einzug der bisher letzten Wehrpflichtigen am 3. Januar 2011 in die Berliner Julius-Leber-Kaserne

Die Koalition ist im Rüstungswahn, aber noch fehlt menschliches Kanonenfutter. Ausweg: Wehrpflicht für alle. Am Freitag bezifferte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums die für einen Krieg erforderliche Bundeswehrgesamtstärke auf 460.000 Soldatinnen und Soldaten einschließlich Reservekräfte. Am Donnerstag hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) noch von 50.000 bis 60.000 zusätzlich erforderlichen aktiven Soldaten gesprochen und die Wehrpflicht ins Spiel gebracht. Am selben Tag äußerte Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: »Ich hoffe, dass es gelingt, Deutschland mit einer Freiwilligenarmee verteidigungsfähig zu machen«. Das sei aber »sehr anspruchsvoll«. Auf die Nachfrage, wieviel Zeit dafür noch bleibe, erklärte er: »Im Grunde keine. Aber ich habe den Eindruck, dass der Verteidigungsminister mit Hochdruck an diesen Fragen arbeitet.«

Bundeswehrverbandschef André Wüstner legte am Freitag im Deutschlandfunk nach und riet der Koalition, schon jetzt die Weichen für die Wehrpflicht zu stellen. Er bezweifelte, dass es nur auf der Grundlage von Freiwilligkeit gelingen werde, bis zu 60.000 zusätzliche Rekruten zu gewinnen. Er könne fast prognostizieren, dass man in der Mitte der Legislaturperiode prüfen und gegebenenfalls umschalten müsse auf eine Art Wehrpflicht: »Jetzt muss man das schon ausplanen, vorbereiten.« Angesichts der Bedrohungslage sei Tempo nötig, um von 181.000 aktiven Soldaten auf eine Zahl von 260.000 zu kommen.

In der Süddeutschen Zeitung vom Freitag flankierte der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe Ralph Tiesler die Suche nach Soldatinnen und Soldaten fürs Schlachtfeld mit der Ankündigung, rasch neue Schutzräume für die Bevölkerung zu schaffen. Weil neue Bunker viel kosten, sei eine schnellere Lösung nötig: »Daher wollen wir Tunnel, U-Bahnhöfe, Tiefgaragen und Keller öffentlicher Gebäude zu Schutzräumen ertüchtigen.« So könne »schnell eine Million Schutzplätze« geschaffen werden. Noch im Sommer werde ein Schutzraumkonzept vorgestellt. Begründung: »Lange war in Deutschland der Glaube weitverbreitet, dass Krieg kein Szenario ist, auf das wir uns vorbereiten müssen. Das hat sich geändert. Uns treibt das Risiko eines großen Angriffskriegs in Europa um.« In den kommenden vier Jahren würden mindestens zehn Milliarden Euro benötigt, in der nächsten Dekade mindestens 30 Milliarden Euro.

Ergänzend ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Forsa für RTL/N-TV am Donnerstag: 70 Prozent der Befragten sind für die Erhöhung der »Verteidigungs«ausgaben, 59 Prozent für die Wehrpflicht. Allerdings: 61 Prozent der unter 30jährigen sind gegen sie – in allen anderen Altersgruppen fand sich eine Mehrheit dafür. Scharfe Kritik an Pistorius’ Äußerungen kam von der Bundestagsabgeordneten Desiree Becker (Die Linke): »Die Regierung rüstet auf und junge Menschen sollen es ausbaden«, erklärte sie in einer Pressemitteilung. »Genau die Generation, die in der Pandemie im Stich gelassen wurde, soll bald zum Waffendienst verpflichtet werden.« Die freiwillige Dienstpflicht sei »nur die Vorstufe für den Zwangsdienst.«

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