Der Schweijk des Schachs
Von Sören Bär
Schachgroßmeister Vlastimil Hort ist am 12. Mai im Alter von 84 Jahren verstorben. Der am 12. Januar 1944 in Kladno geborene Hort gehörte über mehr als zwei Dekaden zur absoluten Weltelite und teilte sich auf seinem Karrierehöhepunkt 1977 mit Michail Tal und Lew Polugajewski den sechsten Platz in der Weltrangliste. Im gleichen Jahr verlor er das Kandidatenviertelfinale gegen Exweltmeister Boris Spasski erst in der Verlängerung durch eine unglückliche Zeitüberschreitung. Zuvor gewährte er dem erkrankten Spasski eine zusätzliche Auszeit, weil er nicht von dessen Indisponiertheit profitieren wollte. Aufgrund seines hohen Könnens, seiner Fairness, seiner pointierten Statements und vieler humorvoller Anekdoten genoss er sowohl in seiner tschechischen Heimat als auch in Deutschland Legendenstatus und galt als »Schwejk des Schachs«. Popularität erlangte Hort als launiger Kommentator neben Helmut Pfleger in der WDR-Sendung »Schach der Großmeister«. Claus Spahn, der Macher des alljährlichen Duells zweier Weltklasseakteure um den WDR-Schachpreis, hatte Hort 1981 beim Kandidatenfinale zwischen Robert Hübner und Viktor Kortschnoi kennengelernt und Gefallen an dessen außergewöhnlichem Sinn für Humor gefunden. Bis 2005 hielt sich der Dauerbrenner im Fernsehprogramm.
Zum königlichen Spiel fand Hort eher zufällig: Im Alter von fünf Jahren musste er zwei Monate in Quarantäne im Krankenhaus verbringen. Ein Arzt brachte ihm die Regeln bei. Hort fing Feuer, besuchte einen Schachklub in Kladno und verbesserte sich autodidaktisch durch das Studium eines Buches, dessen sämtliche Partien er auswendig beherrschte. Nachdem er 1959 die Silbermedaille bei der ČSSR-Meisterschaft errungen hatte, durfte er schon als 16jähriger sein Land bei der Schacholympiade 1960 in Leipzig vertreten. 1965 wurde er zum Großmeister ernannt und avancierte schnell zu einem der weltbesten Spieler. Folgerichtig wurde er 1970 in die Weltauswahl berufen, die beim legendären ersten Duell Sowjetunion gegen den »Rest der Welt« unterlag. Hort gewann als einer der wenigen Spieler der Weltauswahl sein Minimatch am vierten Brett gegen Lew Polugajewski mit 2,5:1,5. Durch die Niederschlagung des »Prager Frühlings« 1968 frustriert, blieb Hort dennoch in der ČSSR, weil er seinen Sohn nicht verlassen wollte. Erst 1982 nutzte er ein Turnier in Tunis zur Flucht in die BRD. Zu diesem Zeitpunkt spielte Hort bereits durch die Vermittlung von Pragosport für den von Mäzen Wilfried Hilgert alimentierten Schachklub SG Köln-Porz in der deutschen Bundesliga.

Vlastimil Hort errang sechsmal den tschechoslowakischen Landesmeistertitel, dreimal triumphierte er in der BRD. Von 1960 bis 1992 bestritt er 14 Schacholympiaden, elf für die ČSSR, drei für die BRD. 1972 in Skopje errang er dabei die Silbermedaille an seinem Brett. Mit der ČSSR-Mannschaft gelang ihm bei der Olympiade 1982 in Luzern mit der Silbermedaille hinter der UdSSR der größte Teamerfolg.
Vlastimil Hort – Lew Polugajewski, Sowjetunion – Rest der Welt, Belgrad, 1. Runde, Brett 4, 29. März 1970, Sizilianisch – Alapin-Variante
1.e4 c5 2.c3 Sf6 3.e5 Sd5 4.d4 cxd4 5.Dxd4 (Statt dieser damals populären Fortsetzung bildet heute 5.Sf3 Sc6 6.cxd4 d6 7.Lc4 die Hauptvariante.) 5…e6 6.Sf3 Sc6 7.De4 d6 (7…f5 8.De2 Dc7 9.g3 d6 10.exd6 Lxd6 11.Lg2 ist eine gute Alternative.) 8.Sbd2 (8.Lb5) 8…dxe5 9.Sxe5 Sf6 (Hort hatte bereits als nachziehender Erfahrung mit dieser Position erworben: Die Partie Bronstein-Hort, Monte Carlo 1969, endete nach 9…Sxe5 10.Dxe5 Dd6 11.Lb5+ Ld7 12.Lxd7+ Dxd7 13.Sf3 Dc7 14.Dxc7 Sxc7 15.c4 Lc5 16.Ke2 a5 17.Lf4 Sa6 18.Ld2 Lb4 19.Le3 Lc5 20.Thd1 Ke7 remis.) 10.Da4 Dd5?! (Vorzuziehen war 10…Dc7.) 11.Sdf3 Ld6 12.Lf4 De4+ 13.Dxe4 Sxe4 14.Ld3 Sxe5 15.Lxe5 Lxe5 16.Sxe5 Sc5 17.Lc2 f6?! (Statt dieser Schwächung verdiente 17…Ke7 den Vorzug.) 18.Sc4 Ke7 19.O-O-O Ld7 20.b4 Sa6 21.Sd6 (21.The1 Tad8 22.a4 b6 23.f4 +/=) 21…b6 22.The1 g6 23.Lb3 Tad8? (Mit 23…Sc7 24.c4 Thd8 25.c5 bxc5 26.Sb7 Tdb8 27.Sxc5 Lc8 +/= blieb Schwarz im Spiel.) 24.f4 (Hier bot sich die Chance zu dem ungewöhnlichen Zug 24.Sb5! mit Vorteil, denn 24…Lxb5 25.Txe6+ Kf7 26.Txb6+ +- bzw. 25…Kf8 26.Txd8+ +- verlören sofort.) 24…Sc7 25.f5! gxf5 26.Sxf5+ Kf7 27.Td3 Lc8 28.Tg3 Se8 29.Sd4 (29.Sh6+ Ke7 30.b5 +/- war zu präferieren.) 29…Sc7 30.Sf5 Se8 31.Sd4 Sc7 32.Te4 (Die Stellungswiederholung brachte beide Spieler der Zeitkontrolle im 40. Zug näher. Hier hätte Hort mit 32.Tf1! noch stärker spielen können.) 32…Tdg8 33.Txg8 Txg8 34.Sf5 Td8 (34…Txg2?? 35.Sd6+ Kg6 36.Sxc8 +-) 35.Tg4 Se8 36.Th4! h5 (Polugajewski kann den h-Bauern nicht decken: 36…Kg6 37.Se7+ Kg7 38.Sc6! verliert nach 38…Td6 39.Sxa7 oder 38…Td7 39.Lxe6 jeweils einen Bauern.) 37.Txh5 Kg6 38.Sg3 Sg7 39.Th4 Lb7 40.Tg4+ Kf7 41.Se2 +/- (Hort hat sich in Zeitnotphase einen Mehrbauern gesichert und besitzt gute Gewinnaussichten.) 41…f5 42.Tc4 Se8 43.Td4 Td6 44.Sf4! Lc8 45.La4! Txd4 46.Lxe8+ Kxe8 47.cxd4 Ke7 48.Kd2 Kf6 49.Sd3 Kg5 50.Ke3 La6 51.Sf4 Lc4 52.a3 a5 53.g3 +- (Hort konsolidiert den Plusbauern und gewinnt das Springer-Läufer-Endspiel problemlos.) 53…Kg4 54.Kf2 Kg5 55.h4+ Kf6 56.Ke3 axb4 57.axb4 e5 58.Sd3 exd4+ 59.Kxd4 b5 60.Sf4 Lf1 61.Kd5 Lc4+ 62.Kd6 Lb3 63.Sd5+ Kg6 64.Ke5 Lc2 65.Se7+ Kh5 66.Sxf5 1:0
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