Rette sich, wer kann
Von Thomas Behlert
Wenn Kinder in den heimischen vier Wänden kaum zu bändigen sind, laut schreiend oder mit irgendwelchen Tröten, die man in einer schwachen Minute gekauft hat, durch die Wohnung toben, möchten Mama oder Papa schon ganz gerne mal ausrasten. Geht natürlich nicht, die Wände sind dünn, der Nachbar hört mit. Also was besorgen, das für Ruhe sorgt und den Eltern eine halbe Stunde Freiheit verschafft. Ich denke nicht an Strick, Paketklebeband oder das Kellerverlies, sondern an Kindermusik.
Verlage, die sich mit solchen Tönen beschäftigen, lassen Sängerinnen und Sänger, die nahezu jeden Job annehmen, auch weil sie wissen, dass es bei ihnen mit den Charts nichts (mehr) wird, einfache Texte ins Mikrophon singen.
Anfang der 2000er Jahre waren die Helden der Kinder blau und schlumpften mächtig im Zauberwald herum. Mit ordentlichen Sprechstimmen verbreiteten sie in einer Fernsehserie Frohsinn, um so schlimmer quiekten sie auf den Alben. Eine laut Wikipedia circa 1976 geborene Laienschauspielerin namens Simone Seuthe trällerte munter mit. Im Studio herum trieb sich auch Nachwuchsmusiker Karsten Stiers, der den Schlümpfen ebenfalls eine Stimme gab und später gemeinsam mit Seuthe beim Fix-und-Foxi-Soundtrack sein Unwesen trieb.
Das Duo lernte sich bereits in Wetter an der Ruhr kennen, wo beide schauspielerten. Musikalisch war man zuvor verschiedene Wege gegangen: Simone Seuthe sang bei Jasmin Wagner auf deren Tour und schluckte womöglich Helium, um möglichst nahe an Blümchens Kieksstimme heranzukommen. Karsten Stiers begann in einer Thrash-Metal-Band, durfte mit anderen Musikern etwa als Vorgruppe von Psychotic Waltz agieren.
2010 kamen sie auf die Idee, mit ihren durchaus soliden Singstimmen und kleinem Instrumentarium Kinderlieder einzusingen. Schnell waren die besten 30 Spiel- und Bewegungslieder gefunden und durch das Label Lamp und Leute unter die Leute gebracht. Tobias Albrecht, den die Popwelt als Rocko Schamoni kennt, zupfte mitunter die Akustikgitarre.
Da der Nachname Stiers nicht sehr gut zur Musik passt, nannten sich die zwei Simone Sommerland und Karsten Glück. Die singenden Kinder nennen heißen Kita-Frösche. Das erste Album, »Die besten Spiel- und Bewegungslieder« von 2010, ging durch Decke, wurde mehr als eine halbe Million Mal verkauft. Geld, Eltern und Kinder wollten bei der Stange gehalten werden, deshalb wurde fleißig weiterproduziert. 2013 übernahm das Majorlabel Universal die Reihe.
Fast alle Kinderliederthemen sind von Tante Sommerland und Onkel Glück mittlerweile besungen wurden. Es gibt Kinderlieder auf Weltreise, englisch gesungene Songs, Kindergartenlieder, Kirchenlieder, Mutmachlieder, Turnlieder und Lieder für alle Jahreszeiten. Außerdem 30 »Lieder für Mädchen«, die so typisch sind, dass es wirklich richtig weh tut. Das Duo trällert über Lillifee, Prinzessinnen, Einhörner und Ballettstunden. Entdecken kann man ferner klassische Stücke von Brahms, Mozart, Tschaikowski und Beethoven, die mit tollen eigenen Texten versehen wurden. Aus Beethovens »Ode an die Freude« wird bei Sommerland und Glück eine »Ode an den Kindergarten«, auf Smetanas »Moldau« heißt es »He, he wir sind Piraten«.
Ist der Drops inzwischen gelutscht? Auf keinen Fall. Im Juni geht Simone Sommerland auf eine kleine Tour durch große Hallen. In Hamburg gibt es sogar ein »Manifest-Ticket« (sic!) zum Schnäppchenpreis von 100 Euro. Wer sein Kind richtig dolle liebt, gönnt sich Sitzplätze im Unterrang mit bester Sicht auf die Bühne und Zugang zur »Premium-Lounge« – laut Veranstalter »ein beliebter Treffpunkt unserer Gäste (Getränke gegen Berechnung)«.
Simone Sommerland auf Tour:
7.6. Ruhr-Kongress, Bochum; 8.6. Messe- und Kongress-Zentrum, Münster; 14.6. Barcleys-Arena, Hamburg; 15.6. Arena in den Gärten der Welt, Berlin; 28.6. Stadthalle, Rostock; 29.6. Seebühne, Magdeburg
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