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Aus: Ausgabe vom 06.06.2025, Seite 6 / Ausland
Nahostkonflikt

Bedrängte Lager

Palästinenser im Libanon leben unter unsicheren Bedingungen. Erneut wird ihre Zukunft zur Debatte gestellt. Ein Ortsbesuch
Von Karin Leukefeld, Dbayeh
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Flüchtlingslager Dbayeh: Aus einem Provisorium mit Zelten wurde im Lauf der Jahre ein eigener Stadtteil (o. D.)

Die libanesische Regierung steht unter Druck. Im Süden des Landes muss die israelische Armee zurückgedrängt werden, im Norden rücken die Milizen der neuen syrischen Machthaber vor. Fortwährende Interventionen aus dem Ausland geben den Libanesen weder Raum noch Zeit, sich unabhängig und miteinander auf eine Strategie für die Einheit des Landes zu einigen. Ein Thema, das auf Israel und seine Unterstützer in den USA und Europa zurückzuführen ist, ist die Zukunft der palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon. Bei dem Besuch des langjährigen Vorsitzenden der palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud Abbas Ende Mai ist ausführlich über Pläne und Absichten debattiert worden, die den Status der Palästinenser im Libanon verändern sollen.

Unbestätigten Berichten zufolge soll ein Gesetz ausgearbeitet worden sein, das biometrische Personalausweise für Palästinenser vorsieht und erlaubt, dass die Bewohner der Lager Baumaterial dorthin bringen dürfen. Gleichzeitig soll sichergestellt werden, dass Palästinenser sich nicht außerhalb der Lager niederlassen. Im Zentrum der Debatte steht die Entwaffnung der palästinensischen Organisationen, die innerhalb der Camps über eine gewisse Autonomie verfügen. Am 16. Juni soll ein libanesisch-palästinensisches Komitee mit Verantwortlichen der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in drei Lagern in Beirut beginnen, über einen entsprechenden Mechanismus für die Entwaffnung zu beraten. Sollte die Entwaffnung gelingen, werde sie auf die anderen Lager im Land ausgedehnt, hieß es aus Regierungskreisen.

Wenig Illusionen über die Veränderungen ihrer Lebensbedingungen machen sich die Bewohner des palästinensischen Flüchtlingslagers Dbayeh, das rund zwölf Kilometer nördlich von Beirut liegt. Der Weg dorthin wird durch das Luxushotel »Le Royal« markiert, das vor rund 20 Jahren von einem Sohn des ehemaligen irakischen Präsidenten Saddam Hussein erbaut wurde. Das Hotel habe für die Besiedlung des Gebietes gesorgt, berichtet Elias Grorjeb im Gespräch mit jW. Grorjeb ist Mitarbeiter der Organisation Joint Christian Committee (JCC), die 2007 in Dbayeh gegründet wurde. Sie bietet für Kinder und Jugendliche Vorschulunterricht, Hausaufgabenhilfe, Kunstunterricht und Sport an. Seit 2012 wird das Projekt von Misereor unterstützt. Die Unterstützung der katholischen Hilfsorganisation aus Aachen begann mit der Flucht von Hunderttausenden Syrern, die vor dem Krieg in ihrer Heimat in den Libanon geflohen waren.

In den engen Räumen der Organisation werden vormittags 75 syrische Kinder im Vorschulalter unterrichtet. Nachmittags gibt es für 80 libanesische und palästinensische Kinder Unterstützung bei den Schulaufgaben in zwei Schichten. Während die syrischen Kinder im Libanon geboren wurden und von außerhalb des Lagers Dbayeh kommen, stammen die libanesischen und palästinensischen Kinder von Familien, die im Lager wohnen und Nachfahren der 1948er Flüchtlinge aus Palästina sind.

Die Geschichte des Lagers reicht bis zum Beginn der 1950er Jahre zurück, berichtet Elias Grorjeb. Seine Eltern stammen aus Haifa und waren Kinder, als sie 1948 von zionistischen Milizen vertrieben wurden. Er selbst wurde 1965 im Lager geboren. Die ersten Zelte sind 1953 an dem damals einsam liegenden Hang errichtet worden, sagt er. Das eigentliche Lager sei dann 1956 entstanden. Ursprünglich waren 4.636 Flüchtlinge in ihm registriert, heute leben nur noch wenig mehr als 2.000 Menschen dort. Das Land, auf dem das Lager gebaut wurde, gehört bis heute zum Kloster Deir Mar Jussef, das weit über Dbayeh auf der Höhe steht und von einem Park umgeben ist. Die Mönche vermieteten das Land damals an die UN-Organisation für die Unterstützung palästinensischer Flüchtlinge (UNRWA), vor allem auch deswegen, weil es sich bei den Vertriebenen um christliche Palästinenser handelte. Der Pachtvertrag wurde für 99 Jahre abgeschlossen. Die Flüchtlinge kamen aus Bassa und Haifa, manche von ihnen aus den sieben Dörfern, die unmittelbar hinter der heutigen »Blauen Linie« lagen und von den zionistischen Milizen dem Erdboden gleichgemacht wurden. »Bassa wurde 1948 komplett zerstört«, berichtet Grorjeb. »Die Zionisten haben dort eine Siedlung gebaut, Shlomi.«

Die Bewohner der sieben Dörfer waren Christen und Schiiten, die 1994 durch ein Gesetz die libanesische Staatsangehörigkeit erhielten. So wurden auch 35 Familien in Dbayeh Libanesen, erinnert sich Grorjeb. »Viele von ihnen sind schließlich über ein Umsiedlungsprogramm der UNO ausgewandert, die meisten leben heute in Australien.« Obwohl das Lager Dbayeh eher einem Dorf als einem der dichtbesiedelten palästinensischen Lager im Libanon ähnelt, wäre eine Erleichterung der Lebensbedingungen der Einwohner wünschenswert, unterstreicht Grorjeb. Die Frage der Entwaffnung allerdings stelle sich in Dbayeh nicht. »Hier trägt niemand Waffen«, sagt er lächelnd. Am Eingang des Ortes steht ein blaues Haus, in dem sich das UNRWA-Büro befindet. Am Eingangstor hängt ein großes Schild, auf dem ein durchgestrichenes Gewehr abgebildet ist. »Waffen verboten«, bedeute das, so Elias Grorjeb. »Das gilt für alle, die hier wohnen.«

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