Den Militarismus entfesseln
Von Niki Uhlmann
Dass er seine »Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen« und »Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde«, schwor der neue Bundeswehrbeauftragte Henning Otte am Donnerstag bei seiner Vereidigung im Bundestag. Die künftige Aufgabe des ehemaligen Offiziers beim Panzerbataillon 333 laut Website des Bundestages: die »parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte« und die »Wahrung der Grundrechte« von Soldaten.
Seit Jahren allerdings verstehen sich die Wehrbeauftragten mehr und mehr als Aufrüstungsbeauftragte. Sein Motto fasste Otte bereits am Vortag in einem Interview mit N-TV zusammen. »Was die Bundeswehr wirklich braucht«, sei nämlich »von allem mehr«: Personal; Material und Fähigkeiten. Heute sei die Frage nicht mehr, wie die Bundesrepublik sich verteidigen wolle, sondern wie sie angegriffen werden könnte – die übliche Kulisse zur Legitimierung der Militarisierung. Einer Frage nach seiner persönlichen Zielmarke für neu rekrutierte Soldaten wich Otte indes aus. Das sei Aufgabe des Verteidigungsministers.
Der steckte das Ziel am Donnerstag so hoch, wie ihm auf dem Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel geheißen wurde: 50.000 bis 60.000 weitere aktive Soldaten brauche es, erklärte Boris Pistorius. »Und gleichzeitig wird sich die Frage natürlich stellen: Reicht der neue Wehrdienst aus über die nächsten Jahre?« Darauf hatte Otte bei N-TV wiederum eine Antwort. Zwar machten »Motivation« und »Freiwilligkeit« die »Truppe aus«, doch »um die Bundeswehr zu entfesseln«, müsse die Wehrpflicht noch »innerhalb dieser Legislaturperiode« wieder vorgelegt werden. Ferner soll ein »Band der Verbundenheit mit der Bundeswehr« etwa durch Ehrung deutscher Veteranen geknüpft werden.
Am Donnerstag legt Otte kurz vor seiner Vereidigung im Interview mit Phoenix nach – und zwar markig. »Im Mittelpunkt steht der Mensch und damit die Personalgewinnung«, gab Otte unbedarft sein Menschenbild preis: der Mensch als Material, über das der Staat nach Belieben verfügen kann, sei es auch das Verheizen im Schützengraben. Er sehe die Welt »aus Sicht der Soldaten« und wisse, dass selbigen »viel abverlangt« wird, »manchmal auch über die eigene Leistungsgrenze hinaus«. Darum gelte für ihn mit Blick auf die Wehrpflicht: »Wenn die Notwendigkeit besteht, von Freiwilligkeit auf verpflichtend zu schalten, zum Schutz der Truppe, dann werde ich dies auch einfordern.« In Ottes offenbar durch und durch militarisierter Weltanschauung muss die Bundeswehr nicht das Staatsvolk, sondern letzteres umgekehrt die deutschen Streitkräfte schützen. Da gilt auch keine Unterscheidung zwischen Männlein und Weiblein mehr: »Wir brauchen mehr Frauen in der Bundeswehr.«
Schon vor einem Jahr hatte Pistorius bei seiner Vorstellung des neuen Wehrdienstes das Anwachsen der Armee auf insgesamt 460.000 Soldaten zwecks »Kriegstüchtigkeit« in Aussicht gestellt. Inzwischen sind genügend vermeintlich gute Gründe für die Generalmobilmachung gefunden worden, die letzten Hemmungen also gefallen. Die Wehrpflicht, so scheint es, wird kommen.
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