Kolonialmacht willkommen
Von Marc BebenrothFür den Außenminister war es ein geeigneter Termin, um die Debatte im Bundestag zum genozidalen Vorgehen der israelischen Besatzungstruppen nicht verfolgen zu müssen. Am Donnerstag hat Johann Wadephul (CDU) seinen israelischen Amtskollegen Gideon Saar in Berlin empfangen, während im Parlament auf Antrag der Linke-Fraktion die katastrophale humanitäre Situation in Gaza auf der Agenda stand. Am Tag zuvor war deren Abgeordnete Cansın Köktürk wegen der Aufschrift »Palestine« auf ihrem T-Shirt von Bundestagspräsidentin Julia »Stand with Israel« Klöckner (CSU) des Saals verwiesen worden.
Ohne mit derlei »politischen Bekenntnissen« zu provozieren, prangerte die Linke-Parteivorsitzende Ines Schwerdtner die Komplizenschaft der BRD mit dem ethnonationalistischen Kolonialstaat an. »Sie alle kennen die Bilder dieses Krieges«, sagte Schwerdtner. »Diese Bilder brennen sich ein, und sie verlangen eine politische Antwort.«
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Wadephul warf die Linke-Vorsitzende Feigheit vor einer solchen Antwort sowie Mitschuld an der ethnischen Säuberung Gazas vor. »607 Tage der Zerstörung, 607 Tage Kriegsverbrechen durch die israelische Armee«, bilanzierte Schwerdtner. Mehr als 53.000 Tote, »100 Prozent der Menschen« hungern. »Dieser Krieg muss sofort enden«, forderte sie.
Ihre Partei stehe an der Seite aller Opfer – seien es jene der israelischen Bomben oder jene der Hamas-Kämpfer. Immerhin: Anders als das Dogma namens »Staatsräson« setze die Linkspartei »Israelis sowie Jüdinnen und Juden weltweit« nicht mit dem Staat Israel bzw. »mit der teils rechtsextremen Regierung« von Benjamin Netanjahu gleich. Gegen diesen liegt ein internationaler Haftbefehl vor, woran sich weder Merz noch Wadephul stören. Die beiden »lavieren, sie liefern weiter Waffen«, hielt Schwerdtner fest.
Auf EU-Ebene habe er sich für das Festhalten an einem Assoziierungsabkommen der Europäischen Union mit dem Apartheidstaat ausgesprochen, erklärte Wadephul am Nachmittag gegenüber Journalisten. Eine »jetzige Anerkennung eines Staates Palästina« durch die BRD sei dagegen »ein falsches Zeichen«. Zuerst müsse ein entsprechender Prozess zwischen der israelischen Seite und den Palästinensern abgeschlossen sein.
»Lieber Gideon, ich wünsche mir, dein Besuch hier in Berlin könnte in einfacheren, in ruhigeren Zeiten erfolgen«, bedauerte Wadephul neben seinem Gast stehend. Als größte äußere Bedrohung Israels benannte er die Islamische Republik Iran, danach folgten die Ansarollah – auch als sogenannte Huthi-Rebellen bekannt – im Jemen und Raketenabschüsse von syrischem Territorium aus. Im Gazastreifen müsse die Hamas die Waffen niederlegen und die Geiseln befreien, betonte der deutsche Außenminister.
Wadephul gab sich besorgt um die – von Israel ausgehungerten – Menschen in Gaza, die nicht wissen, »wie sie an Nahrung und Medikamente gelangen sollen«. Im Gespräch mit seinem Amtskollegen habe der CDU-Politiker seine »dringende Bitte erneuert«, humanitäre Hilfe »zuzulassen«, und zwar »entlang der Prinzipien von Menschlichkeit, Unparteilichkeit, der Neutralität und der Unabhängigkeit, ohne Einschränkung«. Es gebe »Probleme«, sagte Wadephul auf Nachfrage. Aber es sei ihm zufolge »nicht ganz klar, woran es am Ende liegt, dass es nicht hinreichend Hilfe gibt«.
So begrüßte er auch das »neue System«, welches von den USA und Israel installiert wurde. Dieses soll durch den Einsatz von Söldnern und unter offizieller Leitung dubioser Organisationen die Bevölkerung in Gaza mit dem Lebensnotwendigen versorgen. Faktisch dient dieses »System« Israel dazu, die Kontrolle über die Lebensmittelzufuhr zu festigen sowie die verzweifelt nach Nahrung suchende Bevölkerung in den Süden Gazas zu locken. Kontrafaktisch behauptete Saar schließlich, Israel halte sich »streng an das Völkerrecht«.
Derweil hatten sich am Vormittag Hunderte Menschen vor dem Sitz des Auswärtigen Amts versammelt. Zu der Kundgebung unter dem Motto »Rote Linie Völkerrecht« hatten mehrere Organisationen aufgerufen, darunter Medico International, IPPNW Germany und Amnesty International. Die Teilnehmer forderten unter anderem ein Ende von Waffenlieferungen an Israel. Das verneinte Wadephul am Nachmittag indes deutlich.
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