Tränen der Wut Lok. Leipzig bleibt Regionalligist. Ein Drama in drei Akten
Von Sören Bär
Der 1. Akt – Meisterkrönung: Der 1. FC Lokomotive Leipzig und der TSV Havelse avancieren zu Meistern der Regionalligen Nordost und Nord. Havelse distanziert mit 74 Punkten Kickers Emden um 14 Zähler und steht bereits Mitte April als Champion fest. Der 1. FC Lok verbucht sogar 76 Punkte und damit die Viertliga-Rekordmarke, muss sich aber bis zuletzt des Verfolgers HFC erwehren. Zudem ist Lok auch im Sachsenpokal erfolgreich und erringt nur vier Tage vor dem ersten Aufstiegsspiel den Pott gegen Drittligist FC Erzgebirge Aue nach 120 kräftezehrenden Minuten mit 6:5 im Elfmeterschießen. Während Havelse also schon eineinhalb Monate vor den Aufstiegsspielen ausruhen kann, geht Lok mit hohem Substanzverlust und mehreren Verletzten in die entscheidenden Begegnungen.
2. Akt – Das Hinspiel: Die Gegensätze könnten vor der ersten Begegnung am 28. Mai im Bruno-Plache-Stadion in Leipzig-Probstheida vor 10.080 Zuschauern kaum größer sein. Auf der einen Seite steht der erste Deutsche Meister, frühere Europapokalfinalist und Bundesligist 1. FC Lok mit seiner großen Anhängerschaft, während Havelse, ein Ortsteil von Garbsen, 1990/1991 unter Trainer Volker Finke eine Saison in der zweiten Bundesliga spielte und keine aktive Fanszene besitzt. In einem hochspannenden Match geht Havelse überraschend in der 89. Minute durch einen herrlichen Volleyschuss von Marko Ilic in Führung. Der Treffer hätte allerdings nicht zählen dürfen, denn Ilic stand beim Abspiel im Abseits. Schon in der 29. Minute zeigte Schiedsrichter Michael Bacher bei einer Notbremse von Dominic Minz an Min Gi Kang dem Havelser Verteidiger nur Gelb statt Rot. Lok ließ sich jedoch nicht schocken. Nur 43 Sekunden nach dem Rückstand erzielte Dorian Čevis nach glänzendem Pass von Zak Paulo Piplica und schöner Täuschung von Luc Elsner den hochverdienten 1:1-Ausgleich (90.). Alles bleibt offen.
3. Akt – Die Katastrophe: Der TSV Havelse will am 1. Juni unbedingt im winzigen Wilhelm-Langrehr-Stadion spielen, dabei besteht nur eine Ausnahmegenehmigung für die Regionalliga. Die Kapazität muss von 3.500 auf 2.300 reduziert werden, 600 Tickets gibt es für Gästefans. Zunächst wurden nur 350 Karten zu 35 Euro pro Stehplatz geboten. Erst auf Intervention von Lok erfolgten Kontingenterhöhung und Preissenkung auf 25 Euro.
Das Spiel wogt auf und ab, bis zur entscheidenden 80. Minute: Nach einem Foul an Loks Tobias Dombrowa entscheidet Schiedsrichter Patrick Alt auf Vorteil, der jedoch keiner ist, weil der Ball weit wegspringt. Dombrowa eilt hinterher, kommt gegen Emre Aytun (Havelse) zu spät. Obwohl Dombrowa den Gegenspieler nicht trifft, sieht er den gelben Karton. Und fliegt, da bereits verwarnt, vom Platz – eine fatale Fehlentscheidung! Lok rettet sich in Unterzahl in die Verlängerung, gerät aber in der Overtime durch einen Schnitzer des zuvor glänzend aufgelegten Keepers Andreas Naumann nach einem Distanzschuss von Julius Düker in Rückstand (95.). Danach entstehen Räume. Havelse erhöht durch Kontertreffer von Marko Ilic (110.) und Lorenzo Paldino (113.) auf 3:0.
Pasqual Verkamp und Luc Elsner brennen die Sicherungen durch. Lok ist auf acht Akteure dezimiert. Die beiden müssen das Feld ebenso verlassen wie Paldino nach zu ausgelassenem Torjubel. Zuvor erhielten die Leipziger in der gesamten Saison keinen einzigen Feldverweis. Zur Resignation der verzweifelten Lok-Spieler kommt die Wut. Kapitän Djamal Ziane sagt mit tränenerstickter Stimme: »An diejenigen, die das entscheiden: Ist es das, was ihr sehen wollt? Dafür habe ich kein Verständnis, das ist einfach ein Unding. Aber wenn du in deinem Bürostuhl in deinem Anzug sitzt und irgendeine Scheiße entscheiden musst, ist es klar, dass du kein Gefühl und keine Emotionen dafür hast.« Dem bleibt nichts hinzuzufügen.
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