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Aus: Ausgabe vom 05.06.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Der falsche Fuß

Fluch der Schönheit: Die norwegische Regisseurin Emilie Blichfeldt erzählt die Geschichte Aschenputtels als feministisches Bodyhorrormärchen
Von Ronald Kohl
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Eine neue Nase reicht leider nicht: Elvira (Lea Myren)

In »The Ugly Stepsister« beschreibt die norwegische Regisseurin Emilie Blichfeldt detailliert Horror, den sie selbst schon einmal durchlebt hat: »Ich habe versucht, dem Schönheitsideal zu entsprechen. Und ich bin gescheitert, verstehen Sie?«

Wenn jemand wie Blichfeldt das Märchen vom Aschenputtel neu verfilmt, sind die Aussichten schlecht für die ursprüngliche, titelgebende Heldin. Denn dieses Mal gehört die Sympathie der Regisseurin der Figur, mit der sie sich am einfachsten identifizieren kann: der hässlichen Stiefschwester.

Elvira (Lea Myren) träumt von der großen Liebe. Dumm ist nur, dass ein kolossaler Widerspruch zwischen ihrer schwärmerischen Vorstellung und ihren tatsächlichen Chancen besteht. Was dem armen Kind auch durchaus bewusst ist.

Als sie einmal auf ihrem Weg durch die dichten Buchenwälder von Swendlandia plötzlich den Prinzen ihrer Träume erblickte, der gerade am Pinkeln war, wurde sie fast ohnmächtig vor Glück. Sobald seine beiden Jagdgesellen der bleichen Jungfrau gewahr wurden, grölten sie Zoten und machten Verrenkungen, die keinen Zweifel daran aufkommen ließen, zu welchem Zweck man jetzt eine kleine weidmännische Pause einlegen könnte. Der Prinz indes packte in aller Ruhe seinen Riemen ein und sagte: »So etwas will ich nicht ficken.«

Falls es bei Elvira bis dahin noch irgendein Zögern gegeben haben sollte, war das nun Geschichte: Sie musste noch härter an ihrer Schönheit arbeiten! Mit der neuen Nase allein war es da nicht getan. Die alte hatte ihr ein Pionier der Schönheitschirurgie mit dem Hämmerchen und einem kleinen Meißel zertrümmert. Emilie Blichfeldt, die auch das Drehbuch verfasste, erklärt im Interview, sich während der Vorbereitung der Aufnahmen intensiv mit den medizinischen Gepflogenheiten des 17. Jahrhunderts vertraut gemacht zu haben.

Elviras Zinken sieht jetzt also wider Erwarten ganz vernünftig aus. Doch was ihr noch immer Kummer bereitet, ist die Figur. Und weil sie langsam erwachsen werden will, geht sie dieses Problem ohne die Hilfe ihrer Mutter Rebekka (Anne Dahl Torp) an, auch wenn ihr deren Unterstützung sicher gewesen wäre.

Anders als im Märchen hat sich Aschenputtels verwitweter Vater als bankrotter Baron entpuppt, der geglaubt hatte, sich mit der Heirat von Elviras Mutter sanieren zu können. Ha! Alle haben sie keine Kohle. Und falls es jetzt nicht gelingt, Elvira für den großen Ball des Prinzen flottzumachen, kommen nicht nur die Ländereien unter den Hammer, sondern auch das Schloss. Was wirklich jammerschade wäre. Es ist ein herrliches Gemäuer, wie man es in dieser Unversehrtheit wohl nur noch selten antrifft. Sämtliche Außenaufnahmen wurden übrigens in Polen gedreht. »In Norwegen haben wir keine Schlösser«, beklagt sich die Regisseurin. »Weil Schweden und Dänemark all unser Geld gestohlen haben.«

Elvira, die zwar den Ernst der Lage erkannt hat, jedoch ihre Finger nicht von Kuchen, Torte und Gebäck lassen kann, bekommt von einer guten Fee einen kleinen, aufklappbaren Anhänger geschenkt und dazu eine winzige Ampulle mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit darin. In dem Anhänger steckt ein niedliches, durchsichtiges Ei, in dem sich ein kleiner Bandwurm schlängelt, und die braune Tunke in der Ampulle soll das Viech dann wieder killen, wenn Elvira endlich in die Kleider ihrer wunderschönen Stiefschwester Agnes (Thea Sofie Loch Naess) passt.

Agnes ist in »The Ugly Stepsister« keineswegs von Beginn an das Aschenputtel, sondern erst nachdem sie mit dem Stallknecht erwischt wurde. Sodass sich vermuten lässt, Rebekka wäre mit ihrer leiblichen Tochter nicht anders umgesprungen. Also von wegen: die böse Stiefmutter.

In Blichfeldts Film hat das Böse zwei Gesichter, ein kaltes, männliches, das in Gestalt der Gläubiger daherkommt, die gnadenlos Kasse machen wollen, und ein weibliches, allzu menschliches. Über die Mütter, die keinerlei Hemmungen kennen, wenn es darum geht, die Heiratsaussichten ihrer Töchter zu optimieren, sagt die Regisseurin: »Wir müssen ihnen vergeben, denn auch sie waren einmal Töchter.«

Und auch ich bin davon überzeugt, dass sich hinter vielen Handlungen, die uns kaltherzig erscheinen, oft reine Hilfsbereitschaft verbirgt. Als sich Elvira zum Beispiel nach der Ballnacht die Zehen abhackt, um in den Schuh der geheimnisvollen Prinzessin zu passen, fällt sie danach vor Schmerz schreiend um. Die Mutter kommt augenblicklich ins Zimmer gestürzt, hebt kopfschüttelnd das Hackebeilchen auf und drückt es der Tochter erneut in die Hand: »Das war der falsche Fuß.«

»The Ugly Stepsister«, Regie: Emilie Blichfeldt, NOR/SWE/POL/DNK 2025, 105 Min., Kinostart: heute

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