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Aus: Ausgabe vom 05.06.2025, Seite 10 / Feuilleton
Rolf Dieter Brinkmann

Amerikanisches Flimmern

Kunstfertige Schnappschüsse. Brinkmanns Brandflecken
Von Frank Schäfer
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Hat er ganz allein gemacht: Rolf Dieter Brinkmann konnte auch Covercollagen

Ich gebe gern zu, daß ich mich von der deutschsprachigen Lyrik nicht habe anregen lassen«, schreibt Brinkmann in der einleitenden »Notiz« zum Gedichtband »Die Piloten«. »Sie hat meinen Blick nur getrübt. Dankbar bin ich dagegen den Gedichten Frank O’Haras, die mir gezeigt haben, daß schlechthin alles, was man sieht und womit man sich beschäftigt, wenn man es nur genau genug sieht und direkt genug wiedergibt, ein Gedicht werden kann …«

Schon in »Was fraglich ist wofür« von 1967, seinem ersten Gedichtband bei Kiepenheuer & Witsch, erkennt man den Einfluss Frank O’Haras – nämlich in der zunehmenden Fokussierung auf den scheinbar profanen Alltag, in den sich dann zwangsläufig auch immer wieder die populäre Kultur einmischt. Dort ist noch das Kino sein einziger popkultureller Ort, wo sich Leben und Fiktion ineinander spiegeln lassen.

In »Die Piloten« diversifizieren sich dann Stoff- und Motivbereiche. Film, Musik, Werbung und nicht zuletzt der Comic, als ein auch Ende der Sechziger immer noch mit dem Schund-Verdikt belegtes Kulturgut, bekommen viel Platz in dem Buch. Jüngere, popaffine Rezensenten wie Helmut Salzinger sind bereits durch den Umschlag affiziert. »Brinkmann hat die Collage selbst gemacht. Eine Weiterentwicklung des Prinzips, das zuerst die Beatles auf dem Cover ihres Sgt.-Pepper-Albums anwendeten«, schreibt Salzinger im Tagesspiegel. »Waren dort in der Hauptsache nur die Köpfe vieler großer Geister aus Gegenwart und Vergangenheit versammelt worden, so hat Brinkmann auf seinem Cover neben Bekannten auch Unbekannte verewigt, hat allerlei weibliche Nacktheit und männliche Brutalität aus Kino und Comic hineinmontiert und auch sein eigenes Konterfei nicht vergessen. Mir gefällt das.«

Der avisierte Bruch mit der Hochkultur auf dem Cover hat seine Entsprechung in der Vorrede, die gleich mal mit einem lautstarken Affront beginnt gegen die »ausgebufften Kerle«, es sind mal wieder nur Kerle, »die sich Lyriker nennen lassen. Da sitzen sie, irgendwo unsichtbar, und haben mal irgendwas von sich gegeben, jetzt halten sie die Kulturellen Wörter besetzt, anstatt herumzugehen und sich vieles einmal anzusehen, lebende Tote«. Diese Attacke gegen das literarische Establishment, für eine subjektivistische, spontane, geistesgegenwärtige, totale Präsenz zeigende, sinnliche, vorrationale etc. etc. Poesie paraphrasieren und variieren diverse Essays und Vor- bzw. Nachworte in jenen Jahren.

Es sind im Kern Postulate, die so oder ähnlich auch Mick Jagger, Jimi Hendrix, Janis Joplin oder Jim Morrison hätten aufstellen können. Ed Sanders und Tuli Kupferberg von den Fugs sowieso. Brinkmann erweitert also nicht nur den Fundus, aus dem sich das Gedicht sein Spielmaterial holt, um die populäre Kultur. Es soll selber populär sein und sich deshalb den Lyrics der zeitgenössischen Rockmusik annähern.

Wie schon kurz zuvor in der US-Underground-Literatur zieht endlich auch das Komische ein in die Lyrik. In »Ohne Rente« zum Beispiel: »Wir flimmern zusammen / in einer Vorstellung / durch das neue Universum / für Gerechtigkeit und / Frieden, erklärte Batman / seinem kleinen Freund / als der seiner Tarnkappe / überdrüssig war und auch / einmal wieder unter / Menschen in die Kneipe / an der Ecke gehen wollte / wo neulich schon Superman / stand, der dort, von keinem / erkannt, sein Bier austrank. / Wir nicht, sagte Batman, / der Präsident braucht / uns noch überall zum großen / amerikanischen Flimmern / in der Luft, damit endlich / alles in Ordnung kommt. / Dann sind wir für immer / gerettet und können / zusammen in die Kneipen / gehen Hand in Hand, während / Superman schon längst Rente / bezieht. Wir aber reisen / immer weiter und haben / einen Harten in der Hand, / damit kommen wir beide / durch das ganze Land.«

Dass Brinkmann selbst hier in diesem Gag keine unkritische Pop-Affirmation betreibt, wie ihm die zeitgenössische Kritik, übrigens gerade auch von links, unterstellt hat, zeigt sich ja in dem impliziten Vorwurf an das dynamische Duo. Sie inszenieren eine »Vorstellung« von Gerechtigkeit und Frieden, die es nur in der Fiktion gibt. Der »Präsident braucht« die beiden Helden auch deshalb so dringend. Sie sind Teil des Verblendungszusammenhangs.

Aber »Die Piloten« enthält eben auch schon diese scheinbar lapidar hingeworfenen, aber enorm kunstfertigen Schnappschüsse aus dem Alltag, profane Epiphanien, die den lyrischen Stil der Siebziger maßgeblich prägen werden und Brinkmann einen Platz in allen relevanten Gedichtanthologien sichern.

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