Das große Feuer
Von Marc Hieronimus
Die Bauernkriege des Jahres 1525 sind ein halbes Jahrtausend her. Sie waren der »nach Massenbasis, Gewaltsamkeit und politischer Perspektive tiefgreifendste Konflikt in der Geschichte des Alten Reiches«, wie der Berner Fachhistoriker Peter Blickle 1988 in seinem Buch »Unruhen in der Ständischen Gesellschaft 1300–1800« schrieb, Band eins der auf über 100 Bände angelegten und jedem Geschichtsstudenten bekannten »Enzyklopädie Deutscher Geschichte« (Oldenbourg). »Wiewohl mittlerweile alle Epochen der deutschen Geschichte mit dem Qualitätssiegel ›Krisenzeit‹ ausgestattet sind, macht nach Alter und Statur doch noch immer die ›Krise des Spätmittelalters‹ die beste Figur« – und die reformatorischen und aufständischen Bewegungen der 1520er Jahre sind deren Höhepunkt und dessen Ende. Insbesondere der Bauernkrieg blieb Blickle zufolge »bei den Bauern wie bei den Obrigkeiten (…) bis ins 18. Jahrhundert ein Trauma«, er nennt ihn mit dem Ostberliner Historiker Günter Vogler sogar beim Namen, nämlich »Klassenkampf«.
Um ein Haar hätte er Friedrich Engels’ »Der deutsche Bauernkrieg« zitiert. Die Bauern, ist dort zu lesen, waren um 1500 »die große exploitierte Masse der Nation«, allerdings »schwer zum Aufstand zu bringen« (MEW 7, 339/40). Erst als Elend durch Missernten, arrogante und grausame Herrscher, die weiterhin auf den Abgaben in voller Höhe bestanden, reformatorische Kritik an der Kirche und fatalistisches Endzeitdenken zusammenkamen, wurde aus den vielen revolutionären Funken ein großes Feuer, das kurzfristig die alte Ordnung umzustürzen drohte. Wie wir wissen, unterlagen die Bauern: »Der großartigste Revolutionsversuch des deutschen Volkes endigte mit schmählicher Niederlage und momentan verstärktem Druck« (MEW 7, 409).
Nun hat sich der Maler und Comiczeichner Giulio Camagni dem Jahr 1525 gewidmet, und das Ergebnis ist keine ganz leichte Lektüre. Das liegt nicht an der künstlerischen Gestaltung. Der Band ist wie schon sein Erstling »Maximilian I.« in sehr ansehnlichem Pastell gehalten, das es dem Autor erspart, allzu detailreich zu zeichnen und gerade bei Porträts »historisch« und zeitgenössisch zugleich wirkt. David Vandermeulen hat diesen Effekt in seiner meisterhaften Fritz-Haber-Biographie durch Sepiatöne noch verstärkt (Delcourt). Aber wie will man die Ereignisse der Bauernkriege »spannend« darstellen? Man kann ein erdachtes Abenteuer vor dem Hintergrund der Historie erzählen, wie es in Comicreihen wie »Die Türme von Bos-Maury« (Kult-Editionen) oder »Die Adler Roms« (Carlsen) üblich ist, dann dient die wahre Geschichte aber nur als Dekor. Man kann teilfiktional erzählen, indem man einen Protagonisten erfindet, der in alle Ereignisse verwickelt und mit vielen Akteuren bekannt ist, wie das de Toledo/Pavlenko in ihrem Comic über Theodor Herzl sehr geschickt mit der Figur Ilya Brodsky tun (Suhrkamp, 2020). Dieser Trick macht Geschichte greifbar, die Leserin weiß dann aber nicht, was Dichtung ist und was Wahrheit.
Bleibt man bei der Wahrheit und möchte das ganze Bild zeigen, muss man vieles erklären. Zu den wichtigsten Orten der Handlung zählen Städte wie Horb, Forchheim, Günzburg oder Hohentwiel, die kaum eine Deutsche und gewiss kein Kölner auf der Karte verorten könnte, und auch die meisten Protagonisten sind dem Laien nicht mehr geläufig. Der Bauern- und Judenfresser Luther ist bekannt, über den »Rebell in Christo« Thomas Münzer hat Ernst Bloch sein »Jugendwerk voller revolutionärer Romantik« geschrieben (Eigenwerbung) und ihn damit der Vergessenheit entrissen, auch von Melanch-0thon und Zwingli hat man schon gehört, aber die einzelnen Fürsten, Ritter und Rädelsführer und ihre Beziehungen untereinander, die wirtschaftlichen Abhängigkeiten und nicht zuletzt die religiösen Diskussionen der Zeit lassen sich nur mit umfangreichen Kommentarkästen einordnen, die »1525« leider sehr textlastig machen. Die Geschichte aber von Unterdrückung, Grausamkeit und Zerstörung auf der einen, von Mut, Auflehnung und Streben nach Gerechtigkeit auf der anderen Seite bleibt lehrreich.
Giulio Camagni: 1525. Der Aufstand. Bahoe Books, Wien 2024, 128 Seiten, 28 Euro
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