Taiwan rüstet gegen Beijing auf
Von Jörg Kronauer
Zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hat US-Präsident Donald Trump gefordert, drei Prozent des BIP bekommt er nun: Taiwan stockt seinen Militärhaushalt beträchtlich, aber nicht in absurden Dimensionen auf. Für dieses Jahr hatte die Regierung unter Präsident Lai Ching-te ursprünglich Ausgaben für die Streitkräfte in Höhe von 2,45 Prozent des BIP eingeplant, im nachhinein allerdings Abstriche machen müssen; das Parlament, in dem der Präsident nicht über eine Mehrheit verfügt, hatte mehrere Rüstungsvorhaben nicht genehmigt. Für das kommende Jahr sieht die Regierung, wie sie am Montag bekanntgab, Militärausgaben in Höhe von drei Prozent des BIP vor. Basierend auf den aktuellen Schätzungen und dem gegenwärtigen Wechselkurs wären das umgerechnet 26,9 Milliarden US-Dollar – fast ein Viertel des aktuellen Gesamthaushalts, der bei 97,4 Milliarden US-Dollar liegt. Die zehn Prozent des BIP, die Trump gefordert hatte, wären rund 89,6 Milliarden US-Dollar, also nahezu Taiwans gesamter Etat.
In Taipeh wurden darüber hinaus die politischen Richtlinien für das Jahr 2026 bekanntgegeben, die vor allem darauf zielen, die Insel auf einen – möglicherweise auch bewaffneten – eskalierenden Konflikt mit Beijing vorzubereiten. Die Spannungen steigen, da Präsident Lai und seine Partei DPP (Democratic Progressive Party) langfristig auf eine formelle Abspaltung Taiwans von China hinarbeiten und die westlichen Staaten Taipeh Stück für Stück aufwerten. Die Regierung führte nun eine lange Liste an Maßnahmen auf, die insbesondere eine gezielte Vorbereitung auf sogenannte asymmetrische Kriegführung umfassen und dabei auch die Zivilbevölkerung einbeziehen. Konkret geht es darum, Abwehrkämpfe – teils im Guerillastil – gegen anlandende Truppen aus der Volksrepublik zu organisieren, militärisch nicht unähnlich dem Vorgehen Kiews im Ukraine-Krieg. Das Washingtoner Institute for the Study of War (ISW) beschrieb bereits 2024 recht detailliert eine »Verteidigung Taiwans mit ukrainischen Charakteristika«.
Zu den Maßnahmen zählen entsprechende Schritte zur Reform der militärischen Ausbildung. Diese schreitet bislang eher schleppend voran, weil die stark traditionalistisch orientierte Militärführung sich mit asymmetrischer Kriegführung ziemlich schwertut. Das ist der Grund, der in den USA genannt wird, um die klammheimlich durchgeführte Aufstockung der US-Truppen in Taiwan auf rund 500 Personen zu rechtfertigen. Die bis dahin unbekannte, hochbrisante Zahl teilte am 15. Mai ein Konteradmiral der US-Marine a. D. bei einer Anhörung im US-Kongress mit. Im Rahmen der Normalisierung ihrer Beziehungen hatten die Vereinigten Staaten Beijing in den »Drei Communiqués« (zwischen 1972 und 1982) vertraglich zusichern müssen, sie würden nicht nur »ihre Waffenverkäufe an Taiwan allmählich verringern«, sondern auch »ihre Streitkräfte (…) auf Taiwan fortschreitend reduzieren«. Nach jahrzehntelangem Schweigen hatte die damalige Präsidentin Tsai Ing-wen im Oktober 2021 eingeräumt, eine kleine Zahl an US-Militärs halte sich in Taiwan auf. Ein Bericht des US-Kongresses nannte im Jahr 2024 noch die Zahl 41.
Zwar heißt es in den USA wie auch in Taiwan, die 500 Soldaten seien nur als zeitweise entsandte Ausbilder tätig; es handle sich nicht um fest stationierte Kampftruppen. Im Februar wurde aber ein Foto verbreitet, das einen US-General bei Simulationsübungen gemeinsam mit taiwanischen Spitzenmilitärs zeigt. Im März wiederum waren in Onlinenetzwerken Videos zu finden, auf denen US-Kriegsschiffe bei Manövern mit Einheiten Taiwans zu sehen waren. Ende Januar hatte Chinas Botschafter in den Vereinigten Staaten, Xie Feng, explizit gewarnt, Washington solle sich hüten, die »roten Linien« der Volksrepublik zu überschreiten. Eine dieser »roten Linien«, das hat Präsident Xi Jinping zuletzt im November seinem damaligen US-Amtskollegen Joe Biden persönlich klargemacht, besteht im Status Taiwans. Wo auch immer sie nach chinesischer Auffassung im Detail verläuft – mit der drastischen Aufstockung der US-Truppen auf der Insel bewegt sich die Trump-Administration in hohem Tempo auf die rote Linie zu.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (4. Juni 2025 um 21:33 Uhr)Die Vereinigten Staaten haben in der Vergangenheit häufig kleinere Länder geopolitisch instrumentalisiert – etwa Kuba, das lange als Vergnügungsstätte für reiche US-Bürger diente, bis sich das Land politisch emanzipierte. Seither wird Kuba von den USA mit massiven Sanktionen belegt – ein Beispiel dafür, wie eine Großmacht ihren Einfluss in ihrer Umgebung geltend macht. Im Fall Chinas und Taiwans liegt die Situation jedoch anders: Taiwan und die Volksrepublik China teilen gemeinsame kulturelle, sprachliche und historische Wurzeln – viele betrachten sich als ein Volk und eine Nation. Wenn die überwältigende Mehrheit der Chinesinnen und Chinesen eine Wiedervereinigung befürwortet, stellt sich die Frage, wie legitim es ist, dass ein kleiner Teil – einige Millionen Menschen auf einer Insel – mit massiver ausländischer Unterstützung militärisch Widerstand organisiert. Egal wie sehr Taiwan seine Verteidigungsausgaben erhöht und sich auf asymmetrische Kriegführung vorbereitet – der militärische Kräfteunterschied zur Volksrepublik ist eklatant. Selbst mit Hilfe der USA dürfte Taiwan im Fall eines direkten Konflikts keine realistische Chance haben. Diese Aufrüstung verschlingt immense Summen, die angesichts der Lage kaum in ein effektives Verteidigungskonzept münden können. Die geopolitische Realität ist: Sollte die Volksrepublik China eine Wiedervereinigung militärisch durchsetzen wollen, wird sie dazu auch in der Lage sein – so sicher wie das Amen in der Kirche. Anstatt Konfrontation zu forcieren, wäre eine langfristige, friedliche Annäherung aller Seiten die verantwortungsvollere Alternative.
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