Teurer Stoff
Von Max Grigutsch
Ein »gigantisches Problem« beschwor Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Chefin des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen, am Dienstag im brandenburgischen Kremmen: »Die Ausgaben für Arzneimittel gehen durch die Decke«, sagte sie vor Journalisten, wie die Regionalzeitung Lausitzer Rundschau am Mittwoch berichtete. Seit 2012 habe sich dieser Kostenpunkt um 29 Milliarden auf mittlerweile 56 Milliarden Euro erhöht – eine Steigerung von 107 Prozent. Das sind Kosten, die an die Versicherten weitergegeben werden. Schon am Montag hatte die Chefin des Verbands, Doris Pfeiffer, vor einer »Beitragsspirale« gewarnt. Der Verband fordert eine Senkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel auf sieben Prozent.
Nachdem die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr rote Zahlen geschrieben hatten, wird für dieses Jahr vorerst kein Minus erwartet. Der Grund: Umfassende Anhebungen der Zusatzbeiträge für die rund 74 Millionen Versicherten Anfang 2025 und weitere im Verlauf des Halbjahres. Im Juli stehen bei sechs Kassen nun weitere Erhöhungen an, erklärte Pfeiffer und bezeichnete die Situation als »dramatisch«. Maßgeblich für die Entwicklung seien mitunter die Medikamentenpreise. Waren es 2011 noch 5.000 Fälle, bei denen die jährlichen Kosten für Arzneimittel die 100.000-Euro-Marke überschritten, sind es inzwischen 40.000, wusste Stoff-Ahnis laut Frankfurter Rundschau (Mittwoch).
Ursächlich für die explodierenden Kosten sind laut Stoff-Ahnis besonders neue, patentgeschützte Präparate. 2012 machten Aufwendungen für solche nur vier Prozent der gesamten Arzneimittelausgaben aus, heute sind es 47 Prozent, so die Frankfurter Rundschau. Zwar sieht die Staatsmacht für neue Medikamente Preisregulierungen vor – Aufschläge sind nur erlaubt, wenn ein neues Produkt besser wirkt als etablierte Therapien –, diese sind aber nach Ansicht des GKV-Spitzenverbands durch Gesetzeslockerungen und Gerichtsentscheidungen nicht weiter tragfähig. »Wir zahlen zu viel für wenig bis gar keinen Zusatznutzen«, sagte Stoff-Ahnis laut Frankfurter Rundschau und warnte vor »Scheininnovationen«. Man müsse gegensteuern, sonst käme es zu besagtem »gigantischen Problem«, so Stoff-Ahnis weiter.
Auch Ates Gürpinar, Gesundheitspolitiker der Linkspartei im Bundestag, mahnte am Mittwoch eine »Kehrtwende hin zu einer nachhaltigeren und auch gerechteren Finanzierung« an. Es werde kurzfristig »mit Steuergeld die Zahlungsfähigkeit der Krankenkassen« gesichert – Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hatte im Mai 800 Millionen Euro Bundesgeld zur Verfügung gestellt –, allerdings müssten auch »Unternehmer, Immobilienbesitzer, Großanleger und Bestverdienende einen gerechten Beitrag zahlen«, heißt es in der Mitteilung. Die Bundesregierung stehe vor dem »Scherbenhaufen einer verfehlten Gesundheitspolitik«.
Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Mitte Mai unterzeichnete US-Präsident Donald Trump ein Dekret zur Senkung der Arzneimittelpreise für US-Amerikaner – für ausfallende Einkünfte sollen vor allem die europäischen Staaten zahlen. Zuspruch für die Mehrbelastung der Europäer kam von den Konzernbossen der Pharmaindustrie, so etwa Bayer-Chef Bill Anderson, der sich noch Mitte April im Handelsblatt über »Discountpreise für Medikamente« in Deutschland ausließ. Tatsächlich zahlen Deutsche im europäischen Vergleich laut OECD aber die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für ihre Pillen.
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