Israels Massaker nicht ungehört
Von Ina Sembdner
Mehr als 600 verhungernde Palästinenser sind innerhalb einer Woche an sogenannten Verteilzentren im Gazastreifen von der israelischen Armee getötet oder verletzt worden. Diese erschreckende Zahl teilte am Dienstag die in Genf sitzende Menschenrechtsorganisation »Euromed Monitor« mit. Dies deute darauf hin, dass diese Orte »als Tötungszonen, in denen gezielt Zivilisten vor Ort getötet werden« dienten, heißt es in dem Bericht. Und auch am Dienstag mussten die Euromed-Kräfte erneut tödliche Angriffe auf Hilfesuchende dokumentieren. »Gegen 3.50 Uhr heute morgen flog ein israelischer Quadcopter über die Zivilistenmenge und fotografierte sie. Dann eröffnete die Armee das Feuer von einem Kran in der Gegend aus«, berichtete dem Team ein Überlebender. »Ich selbst trug drei Menschen, denen in den Kopf geschossen worden war. Die meisten Verletzungen betrafen den Kopf. Die Menschen kamen auf der Suche nach Essen, um ihren Hunger zu stillen, aber sie kehrten tot oder verwundet zurück.«
Und während Israels Armee nach dem bislang schwerwiegendsten Massaker vom Sonntag mit mindestens 31 Toten und mehr als 200 Verletzten zunächst von Falschnachrichten der Hamas sprach, heißt es nun: Es seien Warnschüsse »auf mehrere Verdächtige« etwa eine halbe Meile von einem Verteilzentrum entfernt abgegeben worden. Dies erklärte ein Militäroffizieller am Montag gegenüber dem US-Sender NBC News. Die von den USA und Israel zur Verteilung eingesetzte private »Stiftung« GHF erklärte ungeachtet dessen und zahlreicher Zeugenaussagen und online verbreiteter Videoaufnahmen, es habe bei ihren Einsätzen »keine Verletzten, Todesopfer oder Zwischenfälle« gegeben. »Wir haben noch keine konkreten Beweise dafür gesehen, dass es gestern einen Angriff auf oder in der Nähe unserer Einrichtung gegeben hat, und eine auf Beweisen basierende Berichterstattung sollte zumindest die Mindestanforderung für Nachrichtenagenturen sein«, hieß es lapidar von seiten der GHF in einer am Montag veröffentlichten Erklärung.
Dafür bräuchte es jedoch internationale unabhängige Untersuchungen und nicht die immer wiederkehrende Antwort des israelischen Militärs, man werde den »Vorfall« untersuchen – intern, versteht sich. Das hat nun auch UN-Generalsekretär António Guterres gefordert. Er sei »entsetzt über die Berichte von Palästinensern, die gestern bei der Suche nach Hilfsgütern im Gazastreifen getötet und verletzt wurden«, schrieb er am Montag auf X. »Ich fordere eine sofortige und unabhängige Untersuchung dieser Vorfälle und dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden«, so Guterres weiter. Zudem müssten Hilfsgüter »in großem Umfang zur Deckung des enormen Bedarfs« unverzüglich und ungehindert nach Gaza gelangen. Dazu sei Israel »nach dem humanitären Völkerrecht eindeutig verpflichtet«. Die Reaktion der israelischen Regierung auf diesen eindringlichen Appell? »Was für eine Schande«, so der Sprecher des Außenministeriums, Oren Marmorstein, ebenfalls auf X. »Kein Wort, dass es die Hamas ist, die Zivilisten erschießt und versucht, sie daran zu hindern, Hilfsgüter zu erhalten«, hielt er an der unbewiesenen Behauptung, die von der palästinensischen Organisation immer wieder dementiert wurde, fest.
Am Dienstag schaltete sich auch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf ein: Angriffe auf Zivilisten, die versuchten, an Lebensmittel zu kommen, seien skrupellos. Eine absichtliche Hinderung der Bevölkerung des Gazastreifens, an Nahrungsmittel zu gelangen, könnte ein Kriegsverbrechen darstellen, teilte das Büro von Volker Türk mit. Auch Türk fordert eine sofortige und unabhängige Untersuchung der Angriffe, bei denen nach Angaben der Gesundheitsbehörden in dem Küstengebiet am Dienstag erneut mindestens 27 Palästinenser getötet wurden, als sie versuchten, dem Hungertod zu entgehen.
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Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (4. Juni 2025 um 03:58 Uhr)Bert Brecht, »Das Lied vom Klassenfeind«, 10. & 11. Strophe: Und wer von uns verhungert ist, der fiel in einer Schlacht. Und wer von uns gestorben ist, der wurde umgebracht. Den sie holten mit ihren Soldaten, dem hat Hungern nicht behagt. Dem sie den Kiefer eintraten, der hatte nach Brot gefragt. Dem sie das Brot versprochen, auf den machen sie jetzt Jagd. Und den sie im Zinksarg bringen, der hat die Wahrheit gesagt. Und wer ihnen da geglaubt hat, dass sie seine Freunde sind, der hat eben dann erwartet, dass der Regen nach oben rinnt. Denn wir sind Klassenfeinde, was man uns auch immer sagt: Wer von uns nicht zu kämpfen wagte, der hat zu Verhungern gewagt. Wir sind Klassenfeinde, Trommler! Das deckt dein Getrommel nicht zu! Fabrikant, General und Junker: Unser Feind, das bist du! Davon wird nichts verschoben, da wird nichts eingerenkt! Der Regen fließt nicht nach oben, und das sei ihm auch geschenkt! https://www.youtube.com/watch?v=61B2oN5tV3M
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Christoph H. (3. Juni 2025 um 21:19 Uhr)Das ganze schreiende Unrecht wie üblich auf kleinstmöglicher Flamme gekocht von den gerade mal leicht peinlich berührten deutschen Qualitätsmedien.
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