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Aus: Ausgabe vom 04.06.2025, Seite 6 / Ausland
Italien

Meloni kriminalisiert Proteste

Italien: »Sicherheitsdekret« erweitert Straftatbestände – Verfassungsbruch angeprangert
Von Gerhard Feldbauer
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Mit erhobenem Haupt: Demonstration in Rom gegen staatliche Repressionen (31.5.2025)

Mitte-links gemeinsam auf der Straße: In Rom haben am Wochenende Kräfte vom sozialdemokratischen bis zum linken Lager erneut gegen ein neues sogenanntes Sicherheitsdekret der Regierung von Giorgia Meloni demonstriert. In der ersten Abstimmung im Abgeordnetenhaus am Donnerstag wurde das Gesetz angenommen. Bis Mitte Juni muss noch die zweite Parlamentskammer, der Senat, darüber entscheiden. Weil die rechte Koalition dort eine deutliche Mehrheit hat, gilt die Zustimmung als sicher. Dem Aufruf des Netzwerkes »A Pieno Regime« (Mit voller Kapazität) hatten sich die mit über vier Millionen Mitgliedern stärkste Gewerkschaft CGIL, die Linkspartei Potere al Popolo (Die Macht dem Volke) sowie Vertreter des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), des linksgrünen Bündnis AVS und der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) angeschlossen.

Es ist, wie die Kritiker betonten, ein Maßnahmenpaket, das 14 neue Arten von Straftaten und neun erschwerende Umstände einführt. Der Regierung würde das unter anderem erleichtern, besetzte Häuser schneller zu räumen und Straßenblockaden, die bisher als Ordnungswidrigkeit gelten, als Straftat zu verfolgen. Ebenfalls von dem Gesetz betroffen wären Proteste wie die der Umweltbewegung No TAV oder gegen den Bau der Brücke über die Meerenge von Sizilien. Auch Maßnahmen gegen das Betteln oder die Einführung erschwerender Umstände für Verbrechen, wenn sie in der Nähe von Bahnhöfen erfolgen, sind in dem Dekret enthalten. Außerdem sollen Schutzbestimmungen für verurteilte schwangere Frauen und Mütter kleiner Kinder aufgehoben werden. Bisher konnten diese nur bei besonders gewichtigen Gründen inhaftiert werden.

Über dem Block der CGIL auf dem Protestmarsch wehten rote Arbeiterfahnen, auch palästinensische Flaggen waren zu sehen. Auf Plakaten und in Losungen wurden die neuen Gesetze als verfassungsfeindlich angeprangert. Teilnehmende Studenten der Sapienza-Universität in Rom nannten das Dekret in einer Erklärung eine »echte freiheitsfeindliche Offensive, die sich in die mittlerweile lange Liste repressiver Gesetze der letzten Jahre einfügt, die darauf abzielen, den Kampf gegen soziale Ausgrenzung zu kriminalisieren. Wenn wir zu alledem noch die anhaltenden Angriffe auf das Streikrecht hinzurechnen, wird der Wille der Regierung Meloni deutlich, jeden möglichen Raum für abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen.«

Das verschärfte Repressionsgesetz stößt landesweit auf Widerstand. Elena Schlein, Vorsitzende der größten Oppositionspartei PD, warf der Regierung vor, sie erfinde »jede Woche einen neuen Straftatbestand« und setze, »statt echte Probleme wie Wohnungsnot, Armut oder Arbeitslosigkeit zu lösen, auf Repression und Einschüchterung«. Cesare Antetomaso, Anwalt und Mitglied der linken Juristenvereinigung Giuristi Democratici, sprach vom »größten Angriff auf die Meinungsfreiheit« seit Gründung der italienischen Republik im Jahr 1946. Insgesamt haben 250 Juristen laut der katholischen Zeitung ­Avvenire Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Dekrets geäußert. Collettiva, die Plattform der CGIL, sprach gar von einem klaren Verfassungsbruch. Grundlegende Freiheitsrechte würden attackiert – Inhaftierte, die gegen die schlechten Bedingungen in Gefängnissen protestieren, könnten dafür mit einer weiteren Haftstrafe von ein bis fünf Jahren bestraft werden. Der Präsident der M5S, Expremier Giuseppe Conte, hatte bereits in der Parlamentsdebatte angeprangert, mit dem Gesetz werde Italien »ein repressiver Staat«.

Auf Kritik stieß außerdem, dass Präsident Sergio Mattarella zum 79. Jahrestag der Italienischen Republik und des verfassunggebenden Referendums am 2. Juni zu »Einheit und Harmonie« aufrief; also wohl zwischen der Opposition und der faschistischen Meloni-Regierung. Von den Angriffen auf Grundpfeiler der Verfassung wie die Versammlungs- und Meinungsfreiheit war von Mattarella nichts zu vernehmen. Lieber dankte er den Präfekten und allen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen, und sprach ihnen seine »Anerkennung und Wertschätzung aus«.

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