»Hüter der Gerechtigkeit« gewählt
Von Volker Hermsdorf
Mexikos sozialdemokratische Präsidentin Claudia Sheinbaum hat die Wahl vom Sonntag als historisch bezeichnet. Erstmals in der Geschichte des Landes wurden Staatsanwälte und Richter – bis hin zum Obersten Gerichtshof – durch das Volk bestimmt. Rund 13 Millionen Bürger gaben ihre Stimme ab. Trotz einer Beteiligung von lediglich knapp 13 Prozent der Berechtigten feierte die Regierung die Wahl als Erfolg. Während die rechte Opposition, die katholische Kirche und Teile des Justizapparates die Reform als Angriff auf die Gewaltenteilung ablehnen, weisen linke Kritiker darauf hin, dass sich am Klassencharakter des mexikanischen Rechtssystems auch durch diese Abstimmung nichts ändere.
Gewählt wurden insgesamt rund 2.600 Justizbeschäftigte – darunter alle Mitglieder des Obersten Gerichtshofs, Richter an regionalen Wahl- und Disziplinargerichten sowie auf Bezirksebene. Die Wahl ist Teil einer tiefgreifenden Justizreform, die unter dem vorherigen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador angestoßen wurde und nun von seiner Nachfolgerin fortgeführt wird. Ziel ist, die Justiz von Korruption zu befreien, Vetternwirtschaft zu beenden und das Volk direkt an der Besetzung der höchsten juristischen Ämter zu beteiligen. Die Demokratisierung des politischen Systems ist ein zentraler Pfeiler der von López Obrador eingeleiteten »Vierten Transformation«. Darunter versteht die Regierungspartei Morena eine Fortsetzung der drei großen Umwälzungen in der mexikanischen Geschichte: nämlich der Unabhängigkeit von Spanien (1810–1821), der liberalen Reformen unter Benito Juárez (1855–1876) und die Mexikanische Revolution (1910–1920).
Während Regierungsanhänger die Wahlen als notwendigen Bruch mit neoliberalen und korrupten Eliten verteidigten, rief die rechte Oppositionspartei PAN zum Boykott auf. Bereits die Verabschiedung der Reform im Parlament hatte im vergangenen Jahr zu Protesten und einem Streik von Teilen des Justizapparats geführt. Auch die US-Regierung äußerte Bedenken. Als Washingtons Botschafter in einem Brief vor einem »Risiko für die Demokratie« durch die Justizreform warnte, verbat López Obrador sich die »Einmischung in innere Angelegenheiten« seines Landes und legte die Beziehungen zur diplomatischen Vertretung der USA vorübergehend auf Eis.
Kurz vor der Wahl legten Gegner der Reform nach. Opposition und NGOs behaupteten, dass einige der Bewerber, so etwa ein früherer Anwalt des Kartellbosses Joaquín »El Chapo« Guzmán, eine »umstrittene Vergangenheit« hätten. Andere kritisierten die große Zahl der zur Wahl stehenden Personen. Staatschefin Sheinbaum betonte dagegen, dass Millionen Bürger erstmals ihr Recht wahrgenommen hätten, über »die neuen Hüterinnen und Hüter der Gerechtigkeit« abzustimmen. Damit stehe in Mexiko künftig »niemand, nicht einmal die Mächtigsten, über dem Gesetz«, fügte sie ebenso pathetisch hinzu. Linke Kritiker halten dem entgegen, dass in einem Land mit extremer sozialer Ungleichheit, hoher Gewalt und chronischer Straflosigkeit keine Justizreform als »Erfolg« gelten könne, solange sie lediglich Eliten austauscht. Eine »demokratische Wahl« der Richter und Staatsanwälte ändere nichts daran, dass auch der neue Justizapparat unter dem Einfluss von Parteien, Kapitalinteressen und – wie manche befürchten – der organisierten Kriminalität steht.
Die künftigen »Hüter der Gerechtigkeit« – wie Sheinbaum die neuen Richter nennt – werden weiterhin keine Personen sein, die mit dem Volk leben, arbeiten und kämpfen. Die Justizreform ändere daran nichts, weil sich »der Klassencharakter des mexikanischen Rechtssystems nicht ändert«, kommentierte der erste Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Mexikos (PCM), Pável Blanco, gegenüber der jungen Welt bereits im September 2024. Die vollständigen Ergebnisse der Abstimmung vom Sonntag werden bis Mitte Juni erwartet. Für 2027 ist bereits eine weitere Justizwahl geplant, bei der über 1.000 zusätzliche Posten besetzt werden sollen.
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