Handreichung für Kriegskurs
Von Kristian Stemmler
Vom Etikett soll man sich nicht täuschen lassen. Unter dem alarmierenden Titel »Frieden retten!« sprechen sich deutsche Friedensforschungsinstitute für Aufrüstung und militärisches Lückenstopfen aus. Vier dieser rein dem Namen nach an weniger Kriegstaumel interessierten Institute haben am Montag in Berlin ihr aktuelles »Friedensgutachten« vorgestellt. Christopher Daase vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main warb in der Bundespressekonferenz entschieden für eine »operative Stärkung der europäischen Verteidigung«. »Tatsächliche Verteidigungslücken« müssten geschlossen, die »europäische« Rüstungskooperation »vorangetrieben werden«. Die vier für das Gutachten verantwortlichen Institute sprächen sich für die »vorübergehende Aufnahme von Schulden« aus, um dieses Ziel zu erreichen, sagte Daase.
Zur Begründung der Forderung verwies der Politologe zum einen auf die »Bedrohung durch Russland«, zum anderen auf die Entwicklung in den USA, die ein Schwerpunkt des diesjährigen Friedensgutachtens sei. In dem Papier werde erläutert, wie es dem US-Präsidenten Donald Trump gelungen sei, »in kürzester Zeit und ohne viel Widerstand die älteste Demokratie der Welt in ein autoritäres System zu verwandeln«. Deutschland und »Europa« seien durch diesen autoritären Staatsumbau »direkt bedroht«, die »transatlantische Partnerschaft« sei laut Daase am Ende.
Die Glaubwürdigkeit des NATO-Beitrittsversprechens gegenüber Kiew sei erschüttert, und die Annäherung zwischen der USA und Russland scheine »nicht nur auf Kosten der Ukraine, sondern auch auf Kosten europäischer Interessen zu gehen«, konstatierte der Leibniz-Akademiker. Dessen Schlussfolgerung: »Europa muss ohne die USA, vielleicht sogar gegen sie, verteidigungsfähig werden.« Momentan gehe es zwar nicht ohne die NATO, aber mit einer »zunehmend nationalistisch gesonnenen US-Administration« habe die Kriegsallianz keine Zukunft.
Es greife allerdings zu kurz, »Sicherheit allein über Rüstung, Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit herstellen zu wollen«, fügte Daase – eher pflichtgemäß – hinzu. Folglich müssten »die Möglichkeiten abnehmender Gewalt und zunehmender Kooperation« geprüft werden, etwa indem man Aufrüstung mit Angeboten zu Rüstungskontrollverhandlungen verbindet. Das mittelfristige Ziel müsse sein, »eine friedliche Koexistenz unter Anerkennung legitimer Sicherheitsinteressen herzustellen«.
Gegen Waffenlieferungen an die Ukraine hätten die vier am Gutachten beteiligten Institute nichts einzuwenden. Dagegen fordere das Friedensgutachten, wie schon im Vorjahr, dass Deutschland Waffenlieferungen an Israel stoppt. Dies sei angesichts der »anhalten Kriegführung in Gaza dringender denn je« und solle »auf alle Rüstungsgüter ausgeweitet werden«. Daase begrüße »die Klarheit«, mit der Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Israel kritisiert habe – der dem jedoch keinerlei materielle Konsequenzen folgen lässt.
Das »Friedensgutachten« 2025 bilanziert, dass sich das weltweite Konfliktgeschehen in den vergangenen Jahren weiter verschärft hat. Im Jahr 2024 seien mehr als 122 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg und Gewalt gewesen. Die Militäroffensiven Israels gegen die Palästinenser in Gaza haben demnach mehr als 53.000 Menschen das Leben gekostet und das Gebiet weitgehend zerstört. Im Sudan herrsche aufgrund der seit April 2023 anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen die »weltweit größte humanitäre Katastrophe«.
Bei den vier sich selbst als »führend« bezeichneten deutschen Institute für Friedens- und Konfliktforschung handelt es sich um das Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC), das Peace Research Institute Frankfurt – Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF), das Institut für Entwicklung und Frieden (Inef) sowie das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Das jährlich veröffentlichte Gutachten will aktuelle Konflikte analysieren, Trends der internationalen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik aufzeigen sowie der Bundesregierung Empfehlungen geben.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (3. Juni 2025 um 10:15 Uhr)Da wird Klartext gesprochen: »Europa muss ohne die USA, vielleicht sogar gegen (!) sie, verteidigungsfähig werden«. Dass die »Friedens- und Konfliktforscher« von Europa statt Deutschland sprechen, hat Tradition: »Wir müssen grundsätzlich immer nur von Europa sprechen, denn die deutsche Führung ergibt sich ganz von selbst aus dem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, technischen Schwergewicht Deutschlands und seiner geografischen Lage« (Werner Daitz, NSDAP, 1940). Damit werden alle eines Besseren belehrt, die bewusst oder unbewusst den deutschen Imperialismus aus der Schusslinie nehmen und Deutschland als einen Vasallen der USA verharmlosen. Werner Rügener hat daraus fast schon ein Geschäftsmodell entwickelt, indem er unentwegt gegen den »bösen« US-Kapitalisten vom Schlage Blackrock trommelt, womit indirekt die »guten« europäischen Kapitalisten besser dastehen. In dem »Friedensgutachten« wird zwar gefordert, dass Deutschland die Waffenlieferungen an Israel stoppt, aber was Christopher Daase dann (im verlinktem Video ab 8:20) sagte, klang nicht gerade friedlich: »Darüber hinaus befürworten wir eine Zusammenarbeit mit Staaten wie Frankreich, Großbritannien und Kanada, um die Umsiedlung (!) der palästinensischen Bevölkerung aus Gaza und den besetzten Gebieten und für eine dauerhafte Lösung des Palästinakonfliktes einzutreten.« Dazu gab es in der Diskussion leider keine Nachfragen. Tilo Jung und Hans Jessen bissen sich an der Einordnung Völkermord ja oder nein fest. Auf eine Frage zum Griff nach der Atombombe antwortete Daase: »Es ist offensichtlich, dass Deutschland sich an einer Diskussion über eine europäische nukleare Abschreckung wird beteiligen müssen.«
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