Gegründet 1947 Freitag, 6. Juni 2025, Nr. 129
Die junge Welt wird von 3011 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 03.06.2025, Seite 2 / Ausland
Ottawa-Konvention gegen Landminen

»Eine weitere Brutalisierung des Krieges«

Polen, Finnland und baltische Staaten kündigen Abkommen über Landminenverbot. BRD missachtet es. Ein Gespräch mit Tobias Pflüger
Interview: Gitta Düperthal
imago815541573.jpg
Tödliche Altlast: Ukrainische Minenräummaschine MV-4 im Einsatz auf einem Feld in der Oblast Mikolajiw (16.4.2025)

Finnland, Polen, Estland, Lettland und Litauen haben angekündigt, aus der Ottawa-Konvention, dem internationalen Verbot von Landminen, auszusteigen. Das soll »die Verteidigung gegen die militärischen Bedrohungen für die an Russland und Belarus grenzenden NATO-Mitgliedstaaten stärken«. Auch die BRD hat die Verträge unterzeichnet. Hält sie sich daran?

Nicht wirklich. Internationale, völkerrechtlich bindende Abkommen zu Landminen, auch Antipersonenminen genannt, sowie zu Streumunition legen fest: Diese Waffentypen sind zu ächten. Die Bundesregierung ist dabei nicht glaubwürdig. Unter US-Präsident Joe Biden wurde Streumunition in die Ukraine exportiert. Die USA haben das Abkommen allerdings nicht unterschrieben. Die USA hatten diese Waffen in Miesau in Rheinland-Pfalz gelagert, von wo aus sie an die Ukraine geliefert wurden. Deutschland war an der Lieferung beteiligt.

Ist das ein Verstoß gegen die Konvention?

In der Tat, ein Skandal! Denn die verbietet Einsatz, Lagerung, Herstellung und Weitergabe von Antipersonenminen und verpflichtet Mitgliedstaaten zur Opferhilfe. Die damalige Bundesregierung hat sich wachsweich herausgeredet: Man habe den USA »nicht in den Arm fallen wollen«, militärisch sei das Ansinnen der USA nachvollziehbar gewesen.

Was haben solche Waffensysteme mit Verteidigung zu tun?

Mit Verteidigung hat das nichts zu tun, sondern mit Militarisierung und Verseuchung ganzer Landstriche. Freilich ist es schwieriger, diese danach zu erobern. Darum missachten kriegführende Staaten oft die Konventionen. Diese Sprengkörper stellen noch nach Kriegsende eine große Gefahr für die Zivilbevölkerung dar. Streuwaffen mit zahlreichen kleineren Sprengkörpern, sogenannten Bomblets, werden verschossen, verteilen sich über ein Gebiet und gehen völlig unberechenbar hoch. Im Boden vergrabene Landminen explodieren ebenso oft erst später, wenn Menschen oder Tiere darauf treten oder sie berühren. Beide Kriegsparteien setzen diese Waffentypen im Ukraine-Krieg ein.

Mit den USA, China und Russland sind drei der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats der Ottawa-Konvention nicht beigetreten. Warum ist es ein fatales Signal, wenn nun europäische Staaten austreten wollen, die unter den nichtständigen Mitgliedern sind?

Wenn europäische Staaten austreten, wäre das Abkommen geschwächt. Wie soll man dann kriegführenden Parteien anderswo, etwa im Kongo, sagen: »Ihr müsst euch an das Verbot halten«?

Bundeskanzler Friedrich Merz reiste bereits zweimal an »die Ostflanke«. Ist von der Union-SPD-Koalition zu erwarten, dass sie in puncto Antipersonenwaffen eine friedensstiftende Position einnimmt?

Die Bundesregierung will die EU als Militärmacht ausbauen. In Litauen ist die Bundeswehr inzwischen stationiert. Wenn Litauen aussteigt, ist die Bundesregierung involviert. Und die Bundesregierung hat sehr viel Verständnis für die Nutzung von Landminen und Streubomben. Spiegel, FAZ und andere Magazine berichten längst im Sinn von Militärstrategen, wie »effektiv« diese Waffen auch für die Bundeswehr seien.

Wie können Linke gegenhalten?

Sie müssen Druck auf die Bundesregierung machen, damit diese in der EU darauf drängt, die Konventionen einzuhalten. Es gilt zudem, ein weiteres Abkommen zur Ächtung von Kamikazedrohnen einzurichten. Die Bundesregierung hat aber im Gegenteil beschlossen, solche von der Münchner Waffenschmiede Helsing produzierten Angriffsdrohnen anzuschaffen. Die als »Loitering Munition«, also »herumlungernde Munition« bezeichneten Waffen suchen sich erst vor Ort mittels künstlicher Intelligenz ihr Zielobjekt: eine weitere Brutalisierung des Krieges.

Was erwarten Sie vom internationalen Zwischentreffen im Centre International de Conférences Genève am 17. Juni in der Schweiz, wo sich Staaten und NGOs für eine Welt frei von Antipersonenminen einsetzen?

Wir drängen darauf, dass sich die Bundesregierung dort dafür positioniert, dass die Konvention eingehalten wird, also gegen den Austritt weiterer EU-Länder. Andernfalls sinkt international die Hemmschwelle.

Tobias Pflüger ist im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung und war verteidigungspolitischer Sprecher der Linke-Fraktion im Bundestag 2017 bis 2021

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Protest gegen die Militarisierung Deutschlands von Anhängern der...
    15.03.2025

    Abrüsten, whatever it takes

    Dokumentiert. Deutschland rüstet auf und macht die Welt damit unsicherer. Eine antimilitaristische Wortmeldung
  • Scholz gemeinsam mit den Staats- und Regierungschefs der drei ba...
    12.02.2022

    Unter Führung der BRD

    Berlin, Warschau und baltische Staaten pochen auf eigenständige Außenpolitik gegenüber Russland
  • Demonstration für den Frieden: Die Linke-Vorsitzenden Bernd Riex...
    14.03.2015

    Opposition statt Nacheilen

    Neue Kriege, neue Verantwortung: Die Linke muss für eine friedenspolitische Perspektive kämpfen, statt von einer Koalition mit SPD und Grünen zu träumen

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!