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Aus: Ausgabe vom 03.06.2025, Seite 1 / Titel
Verhandlungen

Trippelschritt in Istanbul

Zweite Runde der Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine: Austausch von Dokumenten und humanitäre Vereinbarungen
Von Arnold Schölzel
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Istanbul, 2. Juni: Ankunft der ukrainischen Delegation am Konferenzhotel

Eine zweite Runde von Friedensgesprächen zwischen Russland und der Ukraine ging am Montag in Istanbul nach etwas mehr als einer Stunde zu Ende. Unter Vorsitz des türkischen Außenministers Hakan Fidan tauschten beide Seiten Grundsatzerklärungen aus, in denen die jeweiligen Friedensbedingungen dargelegt werden. Außerdem vereinbarten sie nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministers und Delegationsleiters Rustem Umerow einen weiteren Austausch von Kriegsgefangenen, vor allem von schwerverletzten und kranken Soldaten sowie von Jüngeren im Alter zwischen 18 und 25 Jahren. Er erklärte außerdem, beide Länder hätten sich auf die Rückgabe von 6.000 Leichen getöteter Soldaten geeinigt. Die Ukraine habe zudem vorgeschlagen, zwischen dem 20. und dem 30. Juni ein drittes Treffen der Delegationen abzuhalten.

Der Stabschef des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, Andrij Jermak, teilte nach der Sitzung mit, die ukrainische Delegation habe in Istanbul »offiziell eine Liste ukrainischer Kinder, die zurückkehren müssen«, übergeben. Er schrieb in seinem Telegram-Kanal: »Die Rede ist von Hunderten Kindern.« Laut Jermak seien sie »illegal« in die Russische Föderation gebracht worden. Er fügte hinzu: »Wir warten auf eine Antwort, der Ball liegt nun bei Russland.«

Ukrainische Medien veröffentlichten am Montag das Grundsatzpapier Kiews. Es trägt den Titel »Ukrainisch-Russischer Verhandlungsrahmen« und ist in fünf Abschnitte gegliedert. Aufgezählt werden u. a. »ein vollständiger Waffenstillstand ohne Vorbedingungen« sowie »keine Einschränkungen« bei der »Stationierung von Truppen befreundeter Staaten auf dem Territorium der Ukraine«, vertrauensbildende Maßnahmen sowie die Vorbereitung eines Gipfeltreffens.

Vor Beginn der Gesprächsrunde im Fünfsternehotel Çırağan Kempinski erklärte Fidan, Ziel des Treffens sei es, die Bedingungen für einen Waffenstillstand zu bewerten und ein mögliches Treffen der Präsidenten zu besprechen. In Istanbul befanden sich am Montag zugleich ranghohe Vertreter weiterer europäischer Staaten, darunter auch Deutschlands, mit denen sich die ukrainische Delegation traf. Regierungssprecher Stefan Kornelius erklärte dazu in Berlin: Die europäischen Partner seien »auf der Ebene der außen- und sicherheitspolitischen Berater« in Istanbul. Sie könnten sich in die Gespräche einbringen, wenn dies gewollt sei: »Und das ist unser Beitrag, auch um zu zeigen, dass es sich hier auch um den festen Willen Europas handelt, einen Waffenstillstand herbeizuführen.«

Das Treffen fand einen Tag nach einem ukrainischen Drohnenangriff auf russische atomwaffenfähige Langstreckenbomber in Sibirien und anderen Regionen statt. Russische Kriegsblogger forderten die Regierung in Moskau zu einem harten Vergeltungsschlag auf. Russland hatte seinerseits die Ukraine am Sonntag mit fast 500 Drohnen angegriffen.

Bei ihrer ersten Gesprächsrunde in Istanbul am 16. Mai, die auf Initiative des russischen Präsidenten Wladimir Putin zustande kam, hatten beide Seiten den größten Gefangenenaustausch des Krieges von jeweils 1.000 Soldaten vereinbart. Er wurde am 25. Mai auch zur Zufriedenheit Russlands abgeschlossen, wie der russische Delegationsleiter Wladimir Medinski erklärte. Er sagte auf einer Pressekonferenz nach der Sitzung: »Wir haben eine konkrete Waffenruhe für zwei bis drei Tage in bestimmten Gebieten der Frontlinie vorgeschlagen.«

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (3. Juni 2025 um 14:33 Uhr)
    Was für Trippelschritte? Der Begriff suggeriert Fortschritt – tatsächlich jedoch scheint die zweite Verhandlungsrunde zwischen Russland und der Ukraine kaum greifbare Ergebnisse hervorgebracht zu haben. Die Tatsache, dass das Treffen nur etwa eine Stunde dauerte, lässt Zweifel am ernsthaften Willen zu echten Friedensbemühungen aufkommen. Natürlich ist es grundsätzlich positiv, dass überhaupt Gespräche stattfinden – aber für viele Bürgerinnen und Bürger wirkt der Aufwand für ein solch kurzzeitiges und ergebnisarmes Treffen unverhältnismäßig hoch. Was dabei oft übersehen wird: Solche diplomatischen Veranstaltungen verursachen hohe Kosten, die indirekt von der Allgemeinheit getragen werden – also auch von jenen, die sich angesichts der derzeitigen Preisentwicklung bei Grundnahrungsmitteln wie Milch, Butter, Brot oder Brötchen zunehmend finanziell belastet fühlen. Während sich die politische Bühne mit Symbolhandlungen beschäftigt, bleibt der Eindruck, dass für den Alltag der Menschen kaum greifbare Verbesserungen erzielt werden. Der Wunsch nach Frieden ist groß – aber Lippenbekenntnisse ohne substanziellen Fortschritt nähren vor allem Frust und Misstrauen.

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