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Aus: Ausgabe vom 02.06.2025, Seite 10 / Feuilleton
Chemnitz

Das Trio aus dem Heckert-Viertel

Ein Jahr Kulturhauptstadt: Chemnitz, der NSU und die Angst
Von Thomas Behlert
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An die Opfer erinnern und die Taten der Täter: Ausstellung »Offener Prozess« in Chemnitz

Wer von der Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz redet, darf vom NSU nicht schweigen. Hier hatten sich die Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Heckert-Gebiet versteckt, Anschläge geplant, Raubüberfälle begangen und ihre Mordwaffe aufgetan, eine Česká 83. Nun wurde am Johannisplatz das Dokumentationszentrum »Offener Prozess« zum NSU-Komplex eröffnet. Mit einer 70 Meter langen Glasfassade sollen Einwohner und Gäste an die Taten des NSU erinnert werden. In neongelben Lettern sind die Forderungen der Angehörigen der Opfer nach Sicherheit, Aufklärung und Unterstützung zu lesen.

Als das Vorhaben der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, wurden Zweifel laut: Muss das unbedingt sein, wenn sich Chemnitz als Kulturhauptstadt präsentiert? Einige Lokalpolitiker, Einwohner und besonders Mitarbeiter des Kulturhauptstadtteams waren skeptisch. Auch wenn hier 2018 rechte Aufmärsche stattfanden und von Faschisten Migranten durch die Stadt gejagt wurden. Manche meinen ängstlich, es könnte ein Wallfahrtsort für rechte Demonstrationen werden. Negative Schlagzeilen machen sich gar nicht gut in einer Zeit, in der sich die sächsische Stadt gerade neu erfindet und man nichts mehr über »eine rechte Hochburg« hören will. Klar ist, dass die NSU-Geschichte aufgearbeitet werden muss und Chemnitz eine wichtige dabei Rolle hat. Leider ist diese Dokumentation über rassistische Morde der einzige Hinweis auf den Rechtsextremismus in Sachsen. Ob man will oder nicht, auch diese Ausstellung steht unter dem Kulturstadtmotto »Entdecke das Unentdeckte«.

Eine unpassende Überleitung zum Thema Angst sparen wir uns an dieser Stelle. Der Angst ist eine Edvard-Munch-Ausstellung gewidmet, die ab Sommer in der Kunstsammlung Chemnitz gezeigt wird. Naheliegend, denkt doch jeder bei Munch an »Der Schrei«. Den bekommt man in Chemnitz nicht zu sehen, das war klar. Zwei Varianten hängen in Oslo und werden nicht mehr aus den Händen gegeben. Da aber Munch, der von 1863 bis 1944 lebte und als Wegbereiter des Expressionismus gilt, mehrfach schreiende Menschen auf Papier bannte, auch Pastelle und Lithographien herstellte, konnte man sich ein Bild sichern. Von den Lithographien stellte Munch verschiedene Varianten her. So kann man in der Kunsthalle einen 1895 hergestellten Druck bewundern, der 35 mal 25 Zentimetern groß ist und auf dem Bildrand den Aufdruck »Geschrei« trägt.

Munch weilte 1905 in Chemnitz beim kunstbegeisterten Textilunternehmer Herbert Eugen Esche, den er porträtierte. Damit diese Verbindung in der Ausstellung zum Ausdruck kommt, werden vom Kunsthaus Zürich die zwei Esche-Bilder »Bildnis Herbert Esche« und »Blick aufs Chemnitztal« geliehen. Insgesamt werden 100 Werke von Munch und 40 weitere Arbeiten von anderen Künstlern gezeigt. Auch von Munch-Fan Andy Warhol (1928–1987) sind zwei Bilder dabei. Der Pop-Art-Künstler zeichnete einige Motive nach, etwa den »Schrei«, das »Selbstbildnis« und die »Madonna«, und packte alles in eigene Gemälde.

»Offener Prozess. Ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex«, Johannisplatz 8, Chemnitz

,

offener-prozess.de

»Edvard Munch. Angst«, Kunstsammlungen Chemnitz, Theaterplatz, Chemnitz, 10. August bis 2. November 2025

,

kunstsammlungen-chemnitz.de

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