EU will Brot verteuern
Von Reinhard Lauterbach
Die EU will Kunstdünger aus Russland und Belarus aus ihrem Binnenmarkt verdrängen. Ende Mai beschloss das EU-Parlament mit großer Mehrheit, einem Vorschlag der Kommission für stufenweise steigende Strafzölle auf diese Produkte zu folgen. Bisher sind Agrarexporte aus Russland von den Sanktionen ausgenommen und können sogar zollfrei importiert werden. Das hat ihnen einen Marktanteil von 24 Prozent 2024 und einen Absatz von 6,2 Millionen Tonnen verschafft. Jetzt sollen die Düngerzölle ab dem 1. Juli greifen und in mehreren Stufen von 6,50 Euro pro Tonne auf fast 400 Euro im Jahre 2028 steigen. Das stufenweise Vorgehen soll den Marktakteuren die Anpassung erleichtern.
Ziel ist, den entscheidenden und mit ökonomischen Mitteln nicht einholbaren Preisvorteil der russischen Ware zu kompensieren und den Export von Düngemitteln als verwandelte Form des Gasexports zu unterbinden. Denn für die Ammoniaksynthese, aus der wichtige Düngemittel entstehen, sind die in Russland und Belarus geltenden niedrigen Gaspreise der entscheidende Kostenfaktor. So können die Exporte die Preise westeuropäischer Hersteller unterbieten und es diesen schwierig machen, ihre Produkte abzusetzen. Gegenüber der Financial Times beschwerte sich der Chef der SKW Stickstoffwerke im sachsen-anhaltinischen Piesteritz darüber, dass Russland den Markt mit billigem Dünger »überschwemme«. Lange könne die Branche dies nicht mehr aushalten. Ähnliche Töne sind auch aus Polen zu hören, wo die staatliche Firma Azoty über dieselben Absatzprobleme und fehlenden Wirtschaftspatriotismus ihrer Agrarunternehmen klagt. Im Kern sind die geplanten Zölle also ebensosehr eine »Strafmaßnahme« gegenüber Russland wie eine Subvention für die europäischen Vertreter der Branche.
Die EU spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Düngemittelproduktion aus Gründen der Lebensmittelsicherheit im eigenen Block gehalten werden müsse, um gegen mögliche Gegensanktionen immun zu sein. Aus dem Blick gerät dadurch, wer mit den Sanktionen angefangen hat – das war und ist eben nicht Russland, das ja umgekehrt ein Interesse daran hat, Produkte, die es kostengünstig produziert, auf dem Weltmarkt zu realisieren.
In der EU-Agrarbranche ist die Reaktion auf die Brüsseler Zollpläne durchwachsen. Höhere Düngemittelkosten sind für die Landwirte zunächst einmal eine Belastung, von der sie nicht sicher sein können, dass sie sie auf einem von globalen Spekulationsbewegungen geprägten Markt an ihre Kunden weitergeben können. Vor allem in Frankreich, dessen Getreidebauern neben den Farmern in den USA zu den größten Importeuren von russischem Düngemittel zählen, haben die entsprechenden Verbände bereits protestiert. Der deutsche Bauernverband hält sich einstweilen bedeckt, obwohl auch hier Beispiele extremer Kostensteigerungen zitiert werden. So sei der Düngemittelpreis zu Kriegsbeginn im Frühjahr 2022 parallel mit dem Gaspreis innerhalb weniger Tage auf das Vierfache gestiegen. Das Portal Tagesschau.de zitierte im April einen Landwirt mit der Aussage, ein Umstieg auf in der EU produzierten Dünger würde ihn auf einen Schlag mit Mehrkosten von 30.000 Euro belasten.
In einen Zielkonflikt bringt sich die EU damit auch auf allgemein sozialem Gebiet. Wenn das Lohnniveau durch den Wert eines durchschnittlichen Warenkorbs definiert ist, an dem Nahrungsmittel einen erheblichen Anteil haben, dann erhöht eine Preissteigerung bei Brot, Nudeln – und indirekt Viehfutter, das aus Getreide hergestellt wird – den – marxistisch gesprochen – Wert der Ware Arbeitskraft und lässt weniger Mehrwert zur Aneignung durch das Kapital (und zur Abschöpfung durch den Staat) übrig. Um diesen Effekt auszugleichen, muss die Politik den Druck auf das Lohnniveau entsprechend erhöhen. Dass sie damit ein prinzipielles Problem hätte, kann man zwar nicht behaupten. Aber ein Durchsetzungsproblem könnte sie trotzdem bekommen. Wenn sich die Lohnabhängigen und die Gewerkschaften diese politisch gewollte Teuerung nicht gefallen lassen sollten.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (2. Juni 2025 um 13:00 Uhr)Das trifft mal wieder voll den Bevölkerungsanteil mit der höchsten Konsumquote, also all diejenigen mit den niedrigsten monatlich verfügbaren Einkommen; kurzum: die Ärmsten. Aber auch dagegen gibt es ja bekanntlich einen altbekannten Lösungsvorschlag aus dem Frankreich des 18. Jahrhunderts, der da lautet: »Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen!« (Marie Antoinette zugeschrieben). Die Antwort darauf ließ seinerzeit nicht lange auf sich warten – und sie fiel ziemlich eindeutig und nachhaltig aus. Aber Geschichte wiederholt sich ja bekanntlich nicht. Sie bringt jedoch zuweilen starke Analogien hervor. Und das wäre dann doch schon mal wenigstens etwas!
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (2. Juni 2025 um 10:24 Uhr)Die EU hat keine eigenen Interessen zu verfolgen – es sind die Mitgliedstaaten, vertreten durch ihre Regierungen, die politische Entscheidungen tragen und verantworten sollten! Was die EU-Führung in Brüssel derzeit gegenüber Russland betreibt, kommt einem wirtschaftlichen Selbstmord in Zeitlupe gleich: Von drastischen Preissteigerungen bei Energie – Öl, Gas, Strom – bis hin zur Verteuerung von Grundnahrungsmitteln wie Brot. Heute kostet ein einzelnes Brötchen mehr als ein ganzes Brot in der Zeit der »Bonner Republik« – und das ist kein Fortschritt, sondern eine Fehlentwicklung. Die EU-Politik schadet letztlich nicht Russland, sondern den eigenen Bürgerinnen und Bürgern, die diese politischen Symbolakte durch höhere Lebenshaltungskosten bezahlen müssen.
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Leserbrief von Franz (2. Juni 2025 um 09:19 Uhr)Wenn Dünger dann wieder vermehrt in der EU hergestellt wird, steigt auch der Gasverbrauch und damit deren Preise mit Folgen für Heizkosten u. a. Industrie.
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