»Er konnte zum Schutz nicht mal die Hände heben«
Interview: Max Ongsiek
In der Nacht vom 23. auf den 24. Mai ist das Hausprojekt »Zelle 79« in Cottbus Ziel eines versuchten Brandanschlags geworden. Was können Sie über Tat und Täter sagen?
Die allermeisten von uns lagen im Bett und haben geschlafen. Plötzlich war es extrem laut. Ich rannte zum Fenster. Überall war rotes Feuer und Rauch. Pyrofackeln, wie beim Fußball. Ich dachte, es ist Krieg. Ich hörte sie laut rufen: »Wir sind die Krieger, wir sind die Fans. Adolf Hitler Hooligans!« Als der Rauch verzogen war, war die Straße leer. Vor dem Hauseingang lag ein großes Zaunstück aus Metall. Das wurde als Rammbock gegen die Tür benutzt. Die Täter waren zu fünft gewesen, vermummt und schwarz gekleidet. Wären die durch die Tür gekommen, hätte das für uns böse geendet.
In der Vergangenheit gab es schon mehrere Angriffe auf Ihr Haus. Haben sich die Vorfälle auffällig gesteigert?
Definitiv. Mehrmals die Woche wird das Haus mit Graffiti beschmiert, seit Jahren schmeißt sich jemand regelmäßig gegen die Tür. Es wird an das Haus uriniert, es wird der Hitlergruß gezeigt, rechte Beleidigungen gerufen, besonders an Spieltagen von Energie Cottbus, dem Fußballverein. Im Dezember ist dann ein Mitbewohner vor unserer Tür beim Entfernen von »Dritter-Weg«-Stickern (Neonazipartei, jW) zusammengeschlagen worden. Die Täter waren schnell. Er konnte zum Schutz seines Kopfes nicht mal die Hände heben. Im übrigen ist auf den Tag genau vor zehn Jahren ein Brandanschlag auf dieses Haus verübt worden.
Wie hat die Polizei auf den Angriff reagiert?
20 Minuten nach dem Überfall kam die Polizei. Die streifte relativ zügig und engmaschig durch die Stadt. Es wurden Personalien festgestellt, ein Tatverdacht erhärtete sich aber nicht. Eingestuft wurde der Übergriff von den Behörden als Landfriedensbruch. Am Montag stand dann der Staatsschutz vor der Tür, hat von uns Zeugenaussagen aufgenommen. Anscheinend stand hinter den Untersuchungen viel politischer Druck. Allerdings wurden auch Fehler bei den Ermittlungen gemacht. So wurden in der Tatnacht Personalien aufgenommen, die Beamten haben aber die falsche Adresse aufgeschrieben.
Wie kontert die Stadt Cottbus rechte Gewalt?
Oberbürgermeister Schick von der SPD handelt deutlich besser als sein Vorgänger Holger Kelch, CDU. So wird nun das Konzept gegen Rechtsextremismus der Zivilgesellschaft Cottbus durch den Oberbürgermeister begrüßt. Außerdem wurde die externe »Koordinierungsstelle Rechtsextremismus« ins Leben gerufen. Effektive Verbesserungen in unserem Alltag konnten wir aber nicht sehen. Selbstverständlich lässt sich die Stadt in zwei Jahren nicht umkrempeln. Aber aus der Stadtgemeinschaft Cottbus bekommen wir gerade viel Solidarität. So zum Beispiel von Gesine Grande, der Präsidentin der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Aber auch von Parteien, Kollektiven und Einzelpersonen.
Wie sind die Neonazistrukturen in Cottbus derzeit aufgestellt?
Es gab in Cottbus schon immer ein extrem gut organisiertes, großes rechtsextremes Netzwerk. Ein einzigartiges, toxisches Gebilde. Das reicht von der Fußballszene, Sportclubs über Sportbekleidungsmarken, Gastronomie, sowie Sicherheitsfirmen bis zur AfD und Bürger-Zusammenschlüssen. Angeblich reicht das Netzwerk auch in die Drogen- und Sexarbeiterszene. Auffällig ist die Professionalität, die dahinter steckt. Viel Geld wird über legale Wege in die Szene gespült, durch bürgerliche oder bürgerlich wirkende Gewerbezweige.
Ihr Haus ist Teil der Initiative »Sichere Orte Südbrandenburg«. In einem Interview haben Bewohner erklärt, dass sie dort auch Selbstschutz organisieren. Was muss man sich darunter vorstellen?
Die Initiative verbindet soziale, politische und subkulturelle Orte, um sich gemeinsam vor rechter Gewalt zu schützen. Es gibt einen Fonds, mit dessen Geld man Fenster reparieren oder stabilere Türen einbauen kann. Kollektiver Selbstschutz heißt, dass wir zum Beispiel unser Wissen über individuelle Sicherheitskonzepte miteinander teilen, so dass unsere Schutzmaßnahmen schlagartig besser werden können. Vor allem aber geht es uns darum, gemeinsam Öffentlichkeit zu schaffen.
Fabi Buchholz ist Sprecherin des Hausprojekts »Zelle 79« in Cottbus
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