Ins offene Messer
Von Ina Sembdner
Dichter Staub, Tausende verzweifelte Menschen, schlecht improvisierte Ausgabepunkte unter Kontrolle der israelischen Armee und am Ende mehr als 30 Tote, mindestens 150 Verletzte: Am frühen Sonntag morgen hat Israels Armee erneut Massaker unter hungernden Palästinensern im abgeriegelten Gazastreifen angerichtet. »Heute Morgen strömten Tausende von Zivilisten, die unter der Last eines beispiellosen Vernichtungs- und Hungerkrieges litten, auf einen Aufruf der Besatzungsarmee hin zu den Hilfszentren«, hieß es in einer auf Telegram veröffentlichten Erklärung der Hamas. Dort sei »brutal das Feuer auf sie« eröffnet worden. Die Armee »bestätigte damit in eklatanter Weise, dass sie dieses Verbrechen vorsätzlich begehen wollte«, so der Vorwurf der im Gazastreifen herrschenden palästinensischen Organisation. Gefordert wird eine internationale Untersuchung »dieser systematischen Verbrechen gegen Zivilisten«.
Von der von den USA und Israel eingesetzten und kontrollierten »Stiftung« Gaza Humanitarian Foundation (GHF) wurde indes behauptet, die Hilfe sei »heute ohne Zwischenfall« verteilt worden. »Uns sind Gerüchte bekannt, die aktiv von der Hamas verbreitet werden und angebliche Todesfälle und Verletzungen am heutigen Tag betreffen«, hieß es weiter. »Diese sind unwahr und frei erfunden.« Auch die Armee teilte mit, sie habe »derzeit keine Kenntnis von Verletzungen durch Feuer der israelischen Armee innerhalb des Verteilzentrums für humanitäre Hilfe«. Der Vorfall werde weiterhin untersucht, hieß es wie in allen vergleichbaren Fällen der vergangenen anderthalb Jahre, in denen Israel »gegen die Hamas« Krieg führt – mittlerweile gibt es mehr als 53.000 offiziell registrierte Tote, darunter allein Tausende Kleinkinder. »Es gab viele Menschen, das war Chaos, Schreie und Gedränge«, erzählte dagegen Abdallah Barbach der Nachrichtenagentur AFP. Er wollte ebenfalls zu dem GHF-Verteilzentrum nahe der zerbombten Stadt Rafah. »Die Armee hat von Drohnen und Panzern aus geschossen«, fügte er hinzu.
Vorgeblich verhandelt die ultrarechte Regierung in Tel Aviv weiterhin mit der Hamas. Israel geht davon aus, dass sich noch 20 bis 23 lebende Geiseln sowie mindestens 35 Leichen von Verschleppten im Gazastreifen befinden. In dem jüngsten, von den USA vermittelten Vorschlag für eine Waffenruhe ist jedoch erneut das palästinensische Anliegen, einen dauerhaften Waffenstillstand und einen Abzug der israelischen Truppen zu erreichen, abgeschmettert worden. Konkret sah der Plan eine zunächst auf 60 Tage begrenzte Waffenruhe, eine Freilassung von zehn Geiseln aus dem Gazastreifen sowie die Übergabe der sterblichen Überreste von 18 weiteren Verschleppten vor. Im Gegenzug sollen palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freikommen. Die Antwort der Hamas auf diesen Vorschlag sei »komplett inakzeptabel«, schrieb der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, Steve Witkoff, am Sonnabend auf X.
Laut Informationen der dpa, fordern die Palästinenser darin eine zeitlich länger gestreckte Taktung der Geiselfreilassungen. Dies solle verhindern, dass Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu die Gespräche über eine dauerhafte Waffenruhe nach einer Freilassung der ersten zehn Geiseln abbricht, wie er es während der vorherigen Waffenruhe im Januar getan habe, berichtete die Times of Israel unter Berufung auf eine in die Gespräche involvierte Quelle. Ferner habe die Hamas festhalten wollen, dass, falls innerhalb von 60 Tagen keine Einigung über einen dauerhaften Waffenstillstand erzielt wird, die befristete Feuerpause automatisch auf unbestimmte Zeit verlängert wird, zitierte die regierungsnahe US-Nachrichtenseite Axios. Die Hamas habe eine bis zu sieben Jahre dauernde Waffenruhe gefordert, sagte ein israelischer Beamter der Times of Israel. Netanjahu lehnt jedoch ein Ende des Krieges ohne die »Vernichtung der Hamas« ab. Die Einwohner der palästinensischen Enklave werden derweil auf immer engerem Raum zusammengepfercht. Nach Angaben des Portals »Gazamap«, das die Informationen von Israels Militär sammelt, sind Stand Sonntag 77 Prozent des Gebiets sogenannte Kill Zones – Orte also, an denen auf alles geschossen werden »darf«.
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