EU im Enteignungsrausch
Von Klaus Fischer
Die Regierungen besonders russlandfeindlicher EU-Staaten stehen vor einem Dilemma. Einerseits würden sie gerne die in ihrem Staatsgebieten angelegten russischen Gelder abgreifen. Andererseits braucht es dafür eine rechtliche Grundlage und eine Prognose möglicher Rückwirkungen. Das Problem treibt offenbar Deutschlands Kanzleramtschef und Minister für bersondere Aufgaben Thorsten Frei (CDU) um. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) plauderte der Politiker ungeniert über die Notwendigkeiten und Risiken einer solchen Enteignung und kündigte eine intensive Prüfung der Frage an, ob in der EU eingefrorenes russisches Staatsvermögen zugunsten der Ukraine beschlagnahmt werden sollte.
»Jedes Gerechtigkeitsgefühl sagt einem, dass das notwendig ist angesichts der immensen Schäden und des menschlichen Leides, das Russland in der Ukraine anrichtet«, antwortete der CDU-Mann auf die Stichwort-Frage der FAS, ob die Ukraine das Geld bekommen sollte. »Wir erleben derzeit die stärksten Bombardierungen seit Ausbruch des Krieges«, sagte Frei. »Und deshalb ist es nur gerecht, wenn russisches Geld dafür eingesetzt wird, das Notwendige zur Verteidigung zu tun.«
Recht und Gerechtigkeit sind allerdings etwa soweit voneinander entfernt, wie der Nord- vom Südpol. Das weiß auch der Volljurist Frei sicherlich. Deshalb räumte er ein, dass es bei der Geldbeschaffung für die Kriegsverlängerung auch um die Frage gehe, wie sicher ausländisches Geld sei, das in der EU beziehungsweise in Deutschland angelegt werde. Doch die finanziellen Sorgen der EU-Ukraine-Verbündeten scheinen das größere Problem zu sein: »Aber wir sind in einer Situation, in der ich sage: Wir sollten uns die Frage der russischen Staatsgelder noch sehr viel genauer anschauen als bisher«, so der Minister weiter.
Frei dürfte bewusst sein, dass bei den aktuellen Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew Washington den Ton für das westliche Bündnis vorgibt, nicht etwa Brüssel. Dennoch versuchte der Kanzleramtschef den Eindruck zu erwecken, dass eine Enteignung russischer Staatsgelder eine Art Friedensaktion sei: Wenn man einen Waffenstillstand mit friedlichen Mitteln erreichen wolle, sei der Besteckkasten begrenzt. »Deshalb bin ich sehr dafür, die zur Verfügung stehenden Werkzeuge auch zum Einsatz zu bringen«, zeigte sich der Politiker entschlossen.
Die ins Auge gefasste Beschlagnahmung der in Frage kommenden angelegten Gelder ist indes längst nicht die erste juristisch fragwürdige Aktion des Westens im Ukraine-Krieg. Nach früheren Kommissionsangaben sind laut Nachrichtenagentur dpa rund 210 Milliarden Euro der russischen Zentralbank in der EU »eingefroren« – also dem Zugriff der rechtmäßigen Besitzer entzogen. Ein Großteil dieser Gelder werde von dem in Brüssel ansässigen Finanzinstitut Euroclear verwahrt. »Verwahrt« heißt in diesem Falle, dass die EU seit »Mitte des vergangenen Jahres die Zinserträge zur Finanzierung von Waffen- und Munitionslieferungen an die Ukraine« verwendet.
Allerdings ist man sich in Brüssel und Berlin durchaus bewusst, dass der Umgang der Europäischen Union mit in ihrem Hoheitsbereich angelegten ausländischen Valuta weltweit aufmerksam registriert wird. »Die russischen Zentralbankgelder durch einen Enteignungsbeschluss direkt zu nutzen, wird von vielen in der EU skeptisch gesehen«, so dpa weiter. Als Grund gelten rechtliche Bedenken und wahrscheinliche Vergeltungsmaßnahmen.
In Moskau hat man die Lektion inzwischen auf schmerzhafte Weise gelernt. Die Annahme, dass der freie Kapitalverkehr im Westen tatsächlich frei ist, hat sich für die damals ziemlich blauäugig handelnden Institutionen und deren Verantwortliche dort ebenso als Lüge erwiesen, wie für manch andere Regierungen weltweit auch. Die Regierung der Russischen Föderation hatte die EU bereits 2023 davor gewarnt, das Eigentum des russischen Staates oder russischer Bürger zu konfiszieren.
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