Grenzregime fordert Leben
Von Kristian Stemmler
Vor drei Wochen ordnete der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) eine Verschärfung der Grenzkontrollen an. Seitdem reißt die Debatte über die Sinnhaftigkeit und die Konsequenzen dieser Maßnahme nicht ab. Für zusätzliche Brisanz sorgte am Wochenende ein tödlicher Zwischenfall bei einer Kontrolle an der Grenze zu Tschechien. Im oberfränkischen Schirnding wollten Bundespolizisten einen Autofahrer kontrollieren. Wie die Polizei mitteilte, sei der Mann zu Fuß geflüchtet und habe auf die Beamten geschossen. Diese hätten das Feuer erwidert und ihn tödlich verletzt. Weitere Angaben machte die Polizei nicht.
Bei der Jagd auf »illegale Migranten« sind derartige Zwischenfälle vermutlich eingepreist. Dobrindt und Union dürfte der nunmehr erweckte Eindruck nicht stören, dass an den Grenzen endlich durchgegriffen werde. Wenig überraschend können sie dabei auf Dieter Romann zählen, den Präsidenten der Bundespolizei. Gegenüber Bild am Sonntag (BamS) zog Romann eine positive Bilanz der intensivierten Kontrollen und wischte die Warnung der sogenannten Gewerkschaft der Polizei (GdP) vor einer Überlastung der Beamten vom Tisch.
Er frage sich, warum die Bundespolizei heute mit rund 56.000 Mitarbeitern nicht das schaffen könne, »was wir früher mit 10.000 oder mit 30.000 Beamten geschafft haben«, so der Behördenchef. Zuvor hatte der Chef der GdP für die Bundespolizei, Andreas Roßkopf, mit Verweis auf eine interne Umfrage erklärt, dass die Belastungsgrenze für viele Einsatzkräfte an den Grenzen »längst überschritten« sei. Romann ließ auch Kritik von Nachbarländern an den Zurückweisungen von Asylsuchenden nicht gelten. Diese hätten vielmehr Verständnis für die deutschen Maßnahmen, behauptete er. Er stehe da in engem Austausch.
Anders als Romann hatte Dobrindt am Freitag bei einem Besuch in Tschechien eingeräumt, dass die Grenzkontrollen eine zusätzliche Arbeitsbelastung für die Polizei sind. Zugleich konstatierte er, dass diese unvermeidbar sei, um die »hohe Magnetwirkung auf die illegale Migration« zu reduzieren. Seine Maßnahmen würden wirken. »Es gibt keine Probleme an den deutschen Grenzen«, behauptete er. Seit Beginn der verschärften Grenzkontrollen am 8. Mai wurden laut BamS an allen Landesgrenzen 3.387 »unerlaubte Einreisen« registriert. 261 Migranten wurden demnach zurückgewiesen. Von 160 Personen, die ein Asylschutzersuchen gestellt hätten, seien 125 zurückgewiesen worden. 35 Flüchtlinge durften demnach einreisen, weil sie krank oder in Begleitung von Kindern waren.
Von Verständnis für die intensivierten Grenzkontrollen, das der Chef der Bundespolizei bei den Nachbarländern erkannt haben will, ist bei der tschechischen Regierung eher wenig zu sehen. So forderte Innenminister Vít Rakušan von seinem deutschen Amtskollegen eine baldige Rückkehr zu den Schengen-Grundsätzen der Reisefreiheit ohne Binnengrenzkontrollen. Die aktuellen deutschen Maßnahmen nehme man in Prag als »Ausnahmesituation« wahr. Er habe mit Dobrindt eine gemeinsame Evaluation der verschärften Kontrollen einen Monat nach ihrer Einführung – also Anfang Juni – vereinbart. Auch Frankreich will offenbar die Zurückweisungen an den deutschen Grenzen nicht unwidersprochen hinnehmen. Die französische Botschaft wurde laut Diplomaten in Berlin im Innenministerium und im Auswärtigen Amt vorstellig. Sie habe »schriftlich um Einordnung gebeten«, berichtete der Spiegel.
Der für Migration zuständige EU-Kommissar Magnus Brunner aus Österreich hatte dagegen Verständnis für das deutsche Vorgehen gezeigt. Die Bundesregierung nehme Möglichkeiten wahr, die von den aktuellen Regeln vorgesehen seien, »wenn man besonders unter Druck steht«, sagte der zur konservativen ÖVP gehörende Politiker in der vergangenen Woche gegenüber dem ARD-»Europamagazin«. Damit nahm Brunner auf den Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU Bezug, der Mitgliedstaaten Ausnahmen von europäischen Regelungen erlaubt – »für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit«.
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