»Mit Krieg gibt es keine Zukunft«
Interview: Martin Dolzer
Warum ist die Partei der Arbeit Belgiens, PVDA/PTB, im Vergleich zu anderen linken Parteien in Europa so erfolgreich?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Wir sind eine marxistische Partei und streiten offensiv für Sozialismus. Aufgrund der aktuellen Krise gibt es sogar in kapitalistischen Gesellschaften einen Raum, offen darüber zu sprechen. Wir sind zudem eine Partei der Arbeiterklasse und stolz darauf. Unsere Aufgabe ist auch, die Arbeiterklasse wieder selbstbewusst zu machen. Deshalb haben wir Arbeiter im Parlament und nicht nur Menschen, die dort stellvertretend für Arbeiter Stellung beziehen wollen. Wir haben zudem sehr enge Beziehungen zu den Gewerkschaften auf lokaler und überregionaler Ebene. Die Welt spielt derzeit verrückt. Der Westen ist in einer Hegemoniekrise. Der wirtschaftliche Schwerpunkt der Welt verlagert sich nach China. Die Menschen sind verwirrt und suchen eine klare Haltung, die sie bei uns finden.
Inwiefern sind die Menschen verwirrt?
Es gibt einen Hunger nach einem besseren Verständnis der Welt. Und auf diesen Hunger müssen wir reagieren. Gerade in dieser sehr schwierigen Zeit bestehen enorme Möglichkeiten für marxistische Parteien zu wachsen. Die Antwort auf Krieg muss Diplomatie sein. Der Krieg in der Ukraine muss beendet werden. Und diese beschissene europäische Idee, dass wir diesen Krieg fortsetzen können, indem wir mehr Ukrainer bewaffnen, wird zu mehr Blutvergießen führen – es wird eine Katastrophe sein, und zwar für die Ukrainer und für den Rest Europas.
Haben Sie eine klare Vision, wohin die Gesellschaft sich entwickeln sollte und welche Kämpfe dafür aktuell geführt werden müssen?
Wir müssen einerseits Abwehrkämpfe führen, momentan vor allem gegen die Militarisierung. Wir setzen uns dagegen ein, das 3,5-Prozent-Ziel zu erreichen, das auf dem NATO-Gipfel in Den Haag beschlossen werden soll. Schon jetzt geben wir in Belgien zwölf Milliarden Euro pro Jahr für das Militär aus. Nächstes Jahr wären es dann 22 Milliarden. Das Geld dafür wird die Regierung aus der Sozialversicherung und den Rentensystemen nehmen. Da sind wir in der Defensive. Wir sind aber auch an der Generalstreikbewegung beteiligt, bauen Krankenhäuser und positionieren uns als Friedenspartei. Da sind wir in der Offensive. Wir greifen die Militarisierung an und sagen: Die Welt muss in den nächsten 20 bis 30 Jahren eine friedliche Welt werden. Mit Krieg gibt es keine Zukunft.
Wie hat sich die PVDA entwickelt?
Unsere Partei existiert offiziell seit 1979. Wir sind aus der Studentenbewegung von 1968 und den wilden Streiks Anfang der 70er Jahre hervorgegangen. 2015 sind wir erstmals ins Parlament eingezogen. Das war ein Ergebnis der Erneuerungsbewegung in der Partei. 2008 veranstalteten wir einen Erneuerungskongress, auf dem wir drei Leitlinien für unsere Partei diskutiert und beschlossen haben. Wir sind erstens eine prinzipientreue marxistische Partei. Aber wir sind zweitens auch eine taktische und flexible Partei, die sich an die heutige Situation anpasst und in der Lage ist, mit vielen Bewegungen und Menschen aus der Arbeiterklasse zusammenzuarbeiten. Und drittens haben wir eine Identität als Partei der Arbeiterklasse. Von da an wurde unsere Partei immer beliebter. Mittlerweile erreichen wir bei Wahlen um die 20 Prozent und mehr.
Die deutsche Regierung will nun auch »Taurus«-Marschflugkörper an die Ukraine liefern. Sehen Sie einen Weg aus der Eskalation des Krieges?
Aus belgischer Sicht, als kleines Land, ist es verrückt, was Deutschland tut. Ich bin mit dem Wissen aufgewachsen, dass man Deutschen keine Waffen geben darf. Immerhin hat es mit Chauvinismus und Militarismus zwei Weltkriege verursacht. Die jetzige Entwicklung ist beängstigend. Die Aufrüstung der EU-Staaten wird alle Sozialversicherungssysteme in Europa zerstören. In den nächsten zehn Jahren entscheidet sich, ob Sozialversicherungen, Arbeitnehmerrechte und andere soziale Errungenschaften fortbestehen oder ob all das einer Kriegswirtschaft geopfert wird. Es kann nach rechtsaußen gehen, zum Militarismus. Aber es gibt auch die Möglichkeit der Veränderung in Richtung Sozialismus – ein Element der Hoffnung.
Peter Mertens ist Generalsekretär der Partei der Arbeit Belgiens (PVDA/PTB)
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (2. Juni 2025 um 07:57 Uhr)»Mit Krieg gibt es keine Zukunft«, Wer würde dem widersprechen? Aber was nützen all die schönen Worte und Parolen, wenn die PVDA dann, wenn es darauf ankommt, die Kriegstreiber gewähren lässt. Am 17. Juli 2024 wurde im EU-Parlament eine Resolution verabschiedet, in der das EU-Parlament die Unterstützung für Kiew und Sanktionen gegen Russland und Belarus bekräftigt, um damit »den Ukraine-Krieg zu eskalieren und zu verlängern« (Arnold Schölzel am 19.07.2024 in der jW). Die PVDA hat nicht etwa dagegen gestimmt, sondern sich enthalten. Dazu Schölzel: »Die Vertreter vieler Parteien, die sich ›links‹ oder gar antiimperialistisch nennen, haben für dieses ziemlich pathologische Hetzpapier gestimmt, andere sich enthalten, darunter Vertreter der irischen Sinn Féin, der baskischen EH Bildu, der griechischen Syriza, der belgischen PTB und der deutschen Die Linke (Carola Rackete und Martin Schirdewan). Dagegen gestimmt hat unter anderem Özlem Demirel (Die Linke) ebenso wie das gesamte BSW«. Dieses Abstimmungsverhalten kommt nicht von ungefähr. Die PVDA-PTB ist mächtig stolz darauf, dass sie »seit mehr als 20 Jahren gegen Putin ist« und »verurteilt auf das Schärfste die illegale, unprovozierte (!) und ungerechtfertigte militärische Aggression und Invasion der Ukraine durch die Russische Föderation sowie die Beteiligung Weißrusslands an dieser Aggression« (https://www.pvda.be/tien-vragen-en-antwoorden-over-de-oekraine-oorlog). Den Krieg der Maidan-Putschisten gegen die Bevölkerung der Ostukraine seit 2014 scheint es für die belgischen Genossen nicht zu geben.
- Antworten
-
Leserbrief von Joachim Seider aus Greifswald (2. Juni 2025 um 17:18 Uhr)Lieber Franz S., wir sollten unsere potentiellen Verbündeten nicht durch dieselbe Brille betrachten, durch die wir auf das Verhalten unserer Gegner schauen. Denn Freunde haben wir leider in dieser Welt deutlich weniger als Feinde. Es ist in dieser Situation nicht weise, zu mäkelig zu sein und sich zuerst auf das Trennende zu konzentrieren. Zu schnell vergisst man dabei, auf das Verbindende zu achten. Man kann an der unsäglichen Zersplitterung der Linken in Deutschland sehen, welche destruktiven Wirkungen es hat, nur die Treuesten der Treuen in seine Arme schließen zu wollen.
- Antworten
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred G. aus Manni Guerth (2. Juni 2025 um 16:35 Uhr)Peter Mertens hat auf der Veranstaltung in Hamburg erklärt, dass sie eine kommunistische Arbeiterpartei sind und sich nicht an den bürgerlichen Debatten beteiligen. Sie benutzen das Parlament als Megaphon, um ihre Politik zu verbreiten, nicht mehr und nicht weniger. Das verstehen die Linken nicht. Warum? Weil sie keine Arbeiter sind. Für die Linken ist es wichtiger, das Trennende im Vordergrund zu stellen und nicht das Gemeinsame. Die Linken sind das Spiegelbild der bürgerlichen Gesellschaft, in der die Ideen der Herrschenden dominieren. Leider gibt es in Deutschland keine kommunistische Arbeiterpartei, in der die Arbeiter den Ton angeben und nicht das Bürgertum. Manni Guerth
- Antworten
Ähnliche:
- Stefan Boness/IPON21.02.2025
Hilfloser Antifaschismus
- ZUMA Press Wire/IMAGO16.11.2024
»Man muss wissen, wie weit man gehen will«
- Photo News/IMAGO27.08.2024
Zurück in den Elfenbeinturm
Mehr aus: Ausland
-
Hegseth attackiert China
vom 02.06.2025 -
Provokation eingeschrieben
vom 02.06.2025 -
Was man wählt, bekommt man geliefert
vom 02.06.2025 -
Ins offene Messer
vom 02.06.2025 -
Bald erste Präsidentin in Suriname?
vom 02.06.2025