Angriffe bis nach Sibirien
Von Reinhard Lauterbach
Einen Tag vor der für den heutigen Montag geplanten zweiten Verhandlungsrunde hat die Ukraine einen massiven Drohnenangriff auf Ziele weit im russischen Hinterland durchgeführt. Nach Angaben russischer Medien und Telegram-Kanäle wurden unter anderem Ziele in den Gebieten Murmansk und im ostsibirischen Irkutsk angegriffen. Schätzungen sprechen von bis zu 40 beschädigten Flugzeugen, darunter angeblich strategische Bomber der Typen Tu-22 und Tu-95. Die verwendeten Drohnen wurden, um das Abfangen zu erschweren, nicht von der Ukraine aus gestartet, sondern unter den Dächern mobiler Holzhäuser versteckt, die mit Lastwagen transportiert wurden. Als die Lkw sich in der Nähe russischer Luftwaffenstützpunkte befanden, sollen die Dächer der Holzhäuser ferngesteuert geöffnet worden sein. Die Lkw-Fahrer wurden festgenommen und sagten übereinstimmend aus, sie hätten nicht gewusst, was sie transportierten. Gegenüber der britischen BBC bestätigte ein ukrainischer Militärangehöriger, dass für den Angriff der Militärgeheimdienst des Landes verantwortlich war. Die Vorbereitung habe sich über 18 Monate hingezogen, Tote oder Verletzte gab es bei dem ukrainischen Angriff offenbar nicht. Russische Medien berichteten am Sonntag nur äußerst knapp über den Angriff. Vor allem auf die Schäden an den Kampfflugzeugen gingen sie nicht ein.
Wie die Gespräche in Istanbul unter diesen veränderten Umständen ablaufen sollen, war zunächst nicht bekannt. Beide Seiten meldeten am Sonntag, ihre Delegationen seien dorthin abgereist oder würden dies kurzfristig tun. Gleichzeitig war der russische Sicherheitsrat für Sonntag zu einer Sondersitzung einberufen. Noch am Sonnabend hatte der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja angedeutet, dass Russland als Voraussetzung für eine Waffenruhe nicht mehr auf der sofortigen Erfüllung aller seiner Bedingungen bestehe; als wichtigste Vorbedingungen nannte Nebensja den Stopp der westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine und das Ende der Zwangsmobilisierung zur ukrainischen Armee. Danach könne man an der »Beseitigung der Grundursachen« des russisch-ukrainischen Konflikts arbeiten.
Schon in der Nacht zum Sonntag hatte es insgesamt drei Anschläge auf Bahnlinien im russisch-ukrainischen Grenzgebiet gegeben. Für einen Fall, bei dem ein mit Treibstoff beladener Güterzug nahe Melitopol in der besetzten Südukraine zum Entgleisen gebracht wurde, übernahm der ukrainische Militärgeheimdienst die Verantwortung. Zwei andere wurden in Kiew als russische Provokationen bezeichnet. Dabei war im grenznahen Gebiet Brjansk eine Brücke über eine Eisenbahnlinie genau in dem Augenblick eingestürzt, als sich ein Personenzug unter ihr befand. Durch die Wucht der fallenden Betonteile wurden der Lokführer und sechs weitere Passagiere getötet, etwa 70 Passagiere wurden teilweise schwer verletzt.
Unterdessen haben die russischen Truppen in der nordukrainischen Region Sumi offenbar ihren Vormarsch beschleunigt. Nach Angaben russischer Militärblogger, die in der Regel von ukrainischer Seite mit eintägiger Verzögerung im Kern bestätigt werden, haben sie im Grenzgebiet inzwischen etwa 500 Quadratkilometer mit gut 20 Ortschaften besetzt und stehen noch etwa 15 Kilometer vor der Regionalhauptstadt Sumi. Nachdem sie auch einen die Landschaft beherrschenden Höhenzug erobert haben, wächst auf ukrainischer Seite die Befürchtung vor einer Welle von Drohnenangriffen auf die etwa 260.000 Einwohner zählende Regionalhauptstadt.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (1. Juni 2025 um 23:36 Uhr)Diese Drohnenangriffe des ukrainischen Geheimdienstes werden auch bei den Militärstrategen im Westen nicht nur Freude auslösen, sondern auch das ungute Gefühl, dass so etwas dank moderner Technologien auch jederzeit in Europa oder in den USA passieren kann! Die spannende Frage ist nun, was das für das Konzept der nuklearen Abschreckung bedeutet, welche einigen zufolge bisher den Frieden zwischen den Großmächten garantiert hat. Wenn es scheinbar so einfach ist, die strategischen Fähigkeiten des Feindes zu blockieren, droht möglicherweise eine beschleunigte atomare Eskalation. Gott bewahre!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (2. Juni 2025 um 13:28 Uhr)Lieber Marc P., weshalb glauben Sie, soll der Abschuss von Drohnen in Deutschland erlaubt werden? Die einschlägigen Kreise wissen genau, was technisch möglich ist. Und das Geschwafel vom hybriden russischen Krieg ist genau die Projektion der eigenen Planungen.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (1. Juni 2025 um 21:17 Uhr)Was juckt den russischen Bären der Bienenstiche, wenn es um den Honig geht?
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