Tarifbindung weiter angenagt
Von Gudrun Giese
Für immer weniger Beschäftigte gelten Tarifverträge und betriebliche Mitbestimmung. Das zeigen aktuelle Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, die am Freitag vorgelegt wurden. Im vergangenen Jahr arbeiteten demnach rund 41 Prozent der Beschäftigten in einem Betrieb mit Branchentarifvertrag; weitere acht Prozent waren in einer Firma mit Haustarifvertrag angestellt. Seit 1996 sei die Branchentarifbindung um rund 26 Prozentpunkte zurückgegangen, erklärte das IAB mit Verweis auf das aktuelle Betriebspanel, das auf einer Befragung von zirka 15.500 Betrieben basiert.
Beträchtlich ist der Unterschied bei der Tarifbindung weiter zwischen West- und Ostdeutschland: Während in den westlichen Bundesländern 2024 noch 43 Prozent der Beschäftigten in einem branchentarifgebundenen Betrieb gearbeitet hätten, seien es im Osten 31 Prozent gewesen. Dabei hätten sich vor allem Firmen aus der Privatwirtschaft aus der Tarifbindung verabschiedet, erklärte die IAB-Forscherin Susanne Kohaut, »im öffentlichen Sektor blieb diese weitgehend stabil«. Bei den Privatbetrieben ging die Tarifbindung zwischen 1996 und 2024 von 63 auf 33 Prozent zurück.
Seit Jahren würden zudem immer weniger Beschäftigte, vor allem in der Privatwirtschaft, durch einen Betriebsrat vertreten. 2024 gab es zwar einen geringfügigen Anstieg um einen Punkt auf 37 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit fünf und mehr Mitarbeitern. Doch in der langjährigen Tendenz sinkt die Praktizierung der betrieblichen Mitbestimmung kontinuierlich. In Westdeutschland arbeiten noch etwa 38 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit Betriebsrat, in Ostdeutschland 31 Prozent.
Dabei zeige die Praxis, dass es Firmen mit gewählter Beschäftigtenvertretung besser gehe als denen ohne, stellte der IAB-Forscher Christian Hohendanner fest, denn sie hätten im Durchschnitt eine höhere Produktivität, weniger Fluktuation beim Personal, zahlten höhere Entgelte und gewährten mehr Arbeitszeitflexibilität. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz haben Mitarbeiter in einer Firma mit fünf oder mehr Beschäftigten das Recht, einen Betriebsrat zu wählen. Allerdings vereiteln Chefs und Geschäftsleitungen solche Vorhaben oft; nicht selten gehen sie offen oder verdeckt gegen die Initiatoren von Betriebsratswahlen vor. Auch bereits gewählte Beschäftigtenvertretungen sind vor Angriffen nicht sicher. Dabei zeige sich, so Christian Hohendanner: »Tarifverträge und betriebliche Mitbestimmung können dazu beitragen, dass die Unternehmen im Wettbewerb um Fachkräfte erfolgreicher sind.«
In ihrem Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD zumindest eine Absichtserklärung zur Stärkung der Tarifbindung und betrieblichen Mitbestimmung festgehalten. Ein Tariftreuegesetz soll danach die Tarifbindung zur Voraussetzung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge machen. Das hatte sich allerdings auch die Ampelkoalition vorgenommen, aber letztlich nicht geliefert. Bleibt abzuwarten, ob die Schnittmenge zwischen Unionsfraktion und SPD in dieser Frage größer ist. Die betriebliche Mitbestimmung soll laut Koalitionsvertrag modernisiert werden, indem digitale Formate ermöglicht und Qualifizierungen zur Digitalisierung gefördert werden. Die Mitgliedschaft in Gewerkschaften soll steuerlich begünstigt werden. Den Unternehmen bleibe wegen des grassierenden Fachkräftemangels gar nichts anderes übrig, als ihre Attraktivität für potentielle Beschäftigte zu erhöhen, heißt es zuversichtlich in einem Hintergrundpapier des IAB zum aktuellen Betriebspanel. Tarifverträge und die (Wieder-)Einführung der betrieblichen Mitbestimmung könnten dazu beitragen, dass die entsprechenden Unternehmen im Wettbewerb um Fachkräfte erfolgreicher wären.
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