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Aus: Ausgabe vom 30.05.2025, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

»Mehr Geld wäre immer schön«

Verschärfte Situation. Ein Gespräch mit Christoph Breuer, Koautor des neuen Sportentwicklungsberichts
Von Andreas Müller
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Kopflos mit Ball

Herr Breuer, Sie haben gerade den ersten Teil des neuesten Sportentwicklungsberichts (SEB) vorgelegt, wonach rund ein Fünftel der Sportvereine durch fehlende Ehrenamtliche existentiell bedroht ist. Das betrifft mehr als 17.500 Sportvereine. Im Vorgängerbericht war es noch jeder siebte Verein. Wie sehr hat sich die Situation seit 2022 noch einmal zugespitzt?

Die Situation hat sich insofern verschärft, als nicht nur die Gewinnung von Ehrenamtlichen für den Vorstand zum zentralen Problem für mehr Vereine geworden ist. Dasselbe gilt für die sogenannte Ausführungsebene, also die Gewinnung von Übungsleitern und Schiedsrichtern, wie sie für den Sportbetrieb unentbehrlich sind. Pro­blematisch ist auch, dass das Ehrenamt im Verein altert. Es fällt den Vereinen im Durchschnitt schwerer, Ehrenamtler unter 30 zu gewinnen. Ebenso für das sporadische freiwillige Engagement, etwa bei der Organisation eines Sportfestes, finden sich zunehmend weniger Personen.

Wie ist Ihrer Ansicht nach beim ehrenamtlichen Personal gegenzusteuern?

Die Vereine müssen sich weiterent­wickeln, wenn sie für Ehrenamtliche attraktiv sein wollen. Vereine haben dann geringere Probleme, Ehrenamtliche zu gewinnen, wenn sie eine Strategie haben, für Qualität stehen und in gesellige Anlässe investieren, um quasi als Rendite eine erhöhte Bereitschaft zum Engagement zu erzielen. Junge Menschen werden vor allem zur ehrenamtlichen Mitarbeit motiviert, wenn sie darin eine Möglichkeit zur demokratischen Partizipation sehen. Und noch ein weiteres Moment hilft den Vereinen: Sie gewinnen, sobald sie zwei oder drei Frauen im Vorstand haben.

Wie bedroht ist denn die Landschaft unserer Sportvereine?

Von der Nachfrageseite sind Sportvereine derzeit recht ungefährdet. Im Gegenteil, die Knappheit an ehrenamtlichem Personal liegt zu einem Teil an der gewachsenen Nachfrage nach Vereinssport. Insofern ist ein Teil der Ehrenamtsknappheit der Attraktivität der Sportvereine geschuldet. Was natürlich nicht für jeden der knapp 90.000 Sportvereine gilt.

Gibt es auch Positives zu berichten?

Positiv ist etwa, dass Vereine sich verstärkt sensibilisiert zeigen für die Prävention sexualisierter Gewalt, dass sie finanziell relativ stabil dastehen und vor allem, dass sie einen unverändert wichtigen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft leisten können.

SEB-Analysen wurden erstmals 2004 aufgelegt, seitdem sind insgesamt neun Erhebungen dieser Art unter Ihrer Federführung entstanden. So richtig aufgeschreckt haben Ihre Erkenntnisse die Politik offenbar nicht?

Die Sportpolitik des Bundes, der Länder und der Gemeinden hat sich immer wieder an den Ergebnissen dieser Studien orientiert. Dass Sportvereine in den letzten zwanzig Jahren über alle Parteien hinweg als besonders förderungswürdig betrachtet worden sind und Ehrenamtspauschalen eingeführt wurden, kann zwar nicht allein, aber unter anderem auch auf den Sportentwicklungsbericht zurückgeführt werden. Mit der schwierigen Lage der öffentlichen Haushalte werden die Rahmenbedingungen für die Sportvereine angespannter. Wer in der Politik von unverändert stabilen Sportvereinen ausgeht, sieht an der neuesten Erhebung, dass Grenzen der Belastbarkeit erreicht oder bereits überschritten sind.

Das beste Beispiel dafür sind die Sportstätten. Deren Investitionsbedarf liegt mittlerweile jenseits der zehn Milliarden Euro, der Deutsche Olympische Sportbund spricht sogar von über 30 Milliarden Euro. Um für Linderung zu sorgen, sieht der neue Koalitionsvertrag in Berlin nun eine Milliarde Euro vom Bund vor – für die gesamte Legislaturperiode bis 2029. Reicht das aus?

Mehr Geld wäre immer schön, doch woher nehmen, und auf wessen Kosten? Wichtig ist, dass schnell Aufbruch erzeugt wird, dass nicht nur Budgets bereitgestellt werden, sondern die Umsetzung möglichst einfach ist und die Wirkung schnell gelingt.

Welche praktischen Folgen wünschen Sie sich von dem Bericht?

Erstens, dass Sportvereine bei der wichtigen Zukunftsfrage des gesellschaftlichen Zusammenhalts angemessen berücksichtigt werden. Zweitens, dass sich Sportvereine professionalisieren, um ihr Potential überall auszuschöpfen. Drittens, dass Politik und Sportbünde den Wert dieser datengestützten Sportpolitik- und Sportentwicklungsberatung zu schätzen wissen.

Christoph Breuer leitet an der Sporthochschule Köln das Institut für Sportökonomie und Sportmanagement. Den neuesten Sportentwicklungsbericht hat der 54jährige zusammen mit Svenja Feiler und in Kooperation mit dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft BISp in Köln vorgelegt

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