Juristische Verschleierung des Patriarchats
Von Claudia Wrobel
Mit dem Verbot medizinischer Eingriffe die Geburtenrate steigern – das klingt nicht nur absurd, sondern ist auch ein Angriff auf Frauenrechte. Das Verbot geplanter Kaiserschnitte in der Türkei passt zum Umgang autoritärer Staaten mit ihren Einwohnerinnen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die hohen Kaiserschnittraten in vielen Teilen der Welt viel weniger mit weiblicher Ermächtigung und viel mehr mit neoliberalen Überlegungen im Gesundheitssystem zu tun haben.
»In medizinischen Zentren dürfen keine geplanten Kaiserschnitte mehr durchgeführt werden.« Die Verordnung, die diesen Satz enthält, wurde Mitte April im türkischen Amtsblatt veröffentlicht. Private Kliniken dürfen damit keine geplanten Kaiserschnitte mehr anbieten, wenn diese nicht als medizinisch notwendig eingestuft werden. Das ist Teil einer Kampagne der konservativ-autoritären Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan, die dafür sorgen soll, dass die Geburtenrate in der Türkei wieder steigt. Denn nach einer vaginalen Geburt ist der Zeitraum, den Frauen aus medizinischer Sicht abwarten sollten, bevor sie erneut schwanger werden, deutlich kürzer als nach der großen Bauch-OP, die ein Kaiserschnitt darstellt. 2025 ist von der Regierungspartei zum »Jahr der Familie« ausgerufen worden.
Ziel soll unter anderem eine Steigerung der Geburtenrate sein, denn diese ist laut Angaben der nationalen Statistikbehörde Türkstat seit dem Jahr 2001 von durchschnittlich 2,4 Kindern pro Frau auf 1,5 Kinder im vergangenen Jahr gefallen. Dabei nimmt die AKP-Regierung seit mehr als 20 Jahren für sich in Anspruch, eine besonders familienfreundliche Politik zu betreiben, die in Wahrheit aber vor allem die Rechte von Frauen und Müttern einschränkt. Canan Güllü, Vorsitzende der Föderation der Frauenvereine der Türkei, kündigte daher auch an, dass ihr Verband Klage gegen die Verordnung einlegen werde, da sie einen »direkten Angriff auf die körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Gesundheit von Frauen« darstelle. »Diese Regelung ist eine juristische Verschleierung eines patriarchalischen Verständnisses, das Frauen über Fruchtbarkeit definiert und sie allein auf die Mutterschaft reduziert«, so Güllü in einer Presseerklärung nach Bekanntwerden der Verordnung. Demnach handele es sich um eine ideologische Intervention, weil die Zentralregierung ignoriere, dass die Menschen im Land wegen der steigenden Armut weniger Kinder bekommen.
Ein weiteres Zeichen für die Ideologie hinter der Verordnung ist, dass es global keine Hinweise auf Auswirkungen der Anzahl der Kaiserschnitte auf die Geburtenrate gibt. Zwar werden in der Türkei mehr als die Hälfte der Geburten als Kaiserschnitt durchgeführt, damit ist die Rate deutlich höher als in anderen Ländern und deutlich höher als die Kaiserschnittrate, die von der Weltgesundheitsorganisation als medizinisch indiziert und damit erstrebenswert ausgegeben wird. Allerdings ist davon auszugehen, dass dies vor allem mit einem stark durchprivatisierten Gesundheitssystem zu tun hat. Kaiserschnitte lassen sich für Kliniken viel besser planen und damit Leerlaufzeiten verhindern. Sie sind auch besser abzurechnen als eine spontane Geburt, die immer eine unplanbare Komponente enthält.
Man kann also davon ausgehen, dass bei der hohen Quote von Kaiserschnitten von seiten der Klinikbetreiber vor allem der Profit im Vordergrund stand und nicht die objektiv beste Entscheidung für die Gebärende und das Kind. Dieses Problem geht Erdoğan nicht an, genau so wenig, wie echte Verbesserungen während der Geburt. Im vergangenen Jahr hat Mert Küçük, Professor für Geburtshilfe an der Mugla-Sıtkı-Kocman-Universität, im Pan African Medical Journal eine Auswertung veröffentlicht, wie die hohe Kaiserschnittrate in der Türkei gesenkt werden könnte. Darin fordert er vor allem eine bessere Unterstützung von Frauen während des Gebärens durch besser ausgebildetes medizinisches Personal und einen größeren Einfluss von Hebammen, die Geburten leiten sollten. Wahrscheinlich wird beides so schnell nicht passieren, denn dies wäre eine echte Stärkung von Frauen und ein Akt der Ermächtigung für (werdende) Mütter.
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