Brecht das Tabu!
Von Annika Geis
Jeden Monat haben rund zwei Milliarden Menschen ihre Periode. Dennoch ist Menstruation ein Tabuthema, äußerst schambehaftet, und wird häufig als unhygienisch empfunden. Diese Sichtweise ist historisch bedingt und wird durch patriarchale Strukturen bis heute verstärkt. Der Internationale Tag der Menstruationshygiene am 28. Mai soll das Bewusstsein für die Herausforderungen schärfen, Aufklärung fördern und das weltweite Tabu rund um die Periode brechen. Dabei ist das Datum nicht zufällig gewählt: Der Mai steht als fünfter Monat für den durchschnittlichen Menstruationszyklus von etwa fünf Tagen. Die Zahl 28 verweist auf die durchschnittliche Zykluslänge von 28 Tagen.
Die chinesische Marathonläuferin Li Meizhen sorgte für Aufsehen, weil sie während ihrer Marathonteilnahme ihre Periode bekam und trotzdem weiterlief. Auf online veröffentlichten Videoclips sieht man, wie ihr das Blut am inneren Oberschenkel herunterläuft. Diese Szene wird betitelt mit »Bruch des Menstruationstabus«, sie wird als »Heldin« gefeiert. Kommentare – überwiegend von Frauen – lesen sich mit großer Bewunderung: dass sie es durchgezogen hat, dass sie stark sei, dass es eine enorme Leistung sei, am ersten Periodentag so etwas zu schaffen.
Es gibt wohl kaum eine menstruierende Person, die dieses Erlebnis nicht kennt: plötzlich einsetzendes Blut, die Angst vor Menstruationsschmerzen und die Scham, dass es andere bemerken oder sogar sehen könnten. Aus einer Onlinebefragung der Hilfsorganisation Plan International für die Publikation »Menstruation im Fokus« geht hervor, dass 97 Prozent aller befragten Mädchen und Frauen Blutflecken auf der Kleidung als »Worst-Case-Szenario« empfinden. Darüber hinaus fühlen sich mehr als ein Drittel der Befragten während der Menstruation unrein. Viele von ihnen wünschen sich, dass das Schamgefühl im Zusammenhang mit der Periode verschwindet. Auch die Kommentare zu Lis Video spiegeln den Wunsch nach Enttabuisierung wider.
Die Tabuisierung hat spürbare Folgen. Viele Betroffene fürchten bei krankheitsbedingten Fehlzeiten Unverständnis oder negative Konsequenzen in Bildungseinrichtungen oder später im Beruf. Studien zufolge leiden bis zu 90 Prozent der unter 25jährigen unter Menstruationsschmerzen, die so stark ausfallen können, dass sie Schul- oder Arbeitsausfälle verursachen und bis zur Endometriose reichen. Dieser meist zu spät diagnostizierten schweren Erkrankung widmet sich das sogenannte Memäf-Projekt an der Berliner Charité. Ziel ist es, frühzeitig wahrzunehmen, wenn junge Menschen betroffen sind, und ihnen gezielt zu helfen. Für die erste Phase wurden bereits 3.000 Teilnehmerinnen rekrutiert. Laut Projektleiter Daniel Pach wird das niedrigschwellige Angebot gut angenommen. Erste wissenschaftliche Ergebnisse werden Ende 2026 erwartet. Neben der medizinischen Hilfe soll das Memäf-Projekt das Thema auch stärker auf die öffentliche Agenda bringen. Gefordert werden eine strukturelle Verankerung solcher Angebote in der Regelversorgung, mehr Aufklärung sowie eine gezielte Förderung interdisziplinärer Behandlungsteams. Dabei richtet sich der Blick auch auf die neue Koalition: »Es braucht politische Anerkennung dafür, dass Menstruationsbeschwerden eine ernstzunehmende gesundheitliche Herausforderung sind und die Leistungsfähigkeit deutlich einschränken können.«
Die politische Aufgabenliste ist lang: umfassende Aufklärung, bessere Hygienestandards, finanzielle Entlastung, mehr Forschung und eine stärkere Einbindung von Unternehmen. Vor allem aber muss auch der sogenannten Periodenarmut entgegengewirkt werden. Denn obwohl das Angebot an Hygieneprodukten wächst, gibt fast die Hälfte der Umfrageteilnehmenden an, dass sie sich besser versorgen würde, wären diese günstiger. Ob und wann konkrete politische Schritte folgen, bleibt offen.
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