Waffen vor Gesprächen
Von Reinhard Lauterbach
Wenige Tage vor der nächsten Verhandlungsrunde zwischen Russland und der Ukraine hat die Bundesregierung Kiew weitere Waffenlieferungen in Aussicht gestellt. Bei einem Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij in Berlin versprach Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) der Ukraine am Mittwoch ein weiteres Paket im Wert von fünf Milliarden Euro. Es solle unter anderem verwendet werden, um in der Ukraine Munition für das Flugabwehrsystem »Iris-T« herzustellen und generell gemeinsame Rüstungsprojekte auf ukrainischem Territorium ins Leben zu rufen. Ausdrücklich wurde auch die »gemeinsame Produktion von Langstreckenwaffen« genannt. Ob sich dies auf eine Lizenzfertigung des »Taurus«-Marschflugkörpers erstreckt, ließ Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ausdrücklich offen.
Im ZDF sagte er am Mittwoch abend, die Lieferung des »Taurus« liege »im Bereich des Möglichen«. Allerdings dauere die Ausbildung ukrainischer Militärs im Gebrauch dieses Systems mindestens sechs Monate, so dass eine Lieferung zum jetzigen Zeitpunkt nicht wirklich helfe. Er wolle den Schwerpunkt auf die sofort wirksame Unterstützung Kiews legen, so Merz weiter. Zuvor hatte er erklärt, alle Vorbehalte gegen die Reichweite ukrainischer Schläge gegen Ziele in Russland seien in Absprache mit Großbritannien und Frankreich aufgehoben. Das »Problem« dabei ist, dass die BRD derzeit vermutlich das einzige europäische Land ist, das noch mittelstreckenfähige Raketen an die Ukraine abzugeben hat. Die britischen und französischen Systeme »Scalp« und »Storm Shadow« sind inzwischen nach wiederkehrenden Meldungen der militärischen Fachpresse verschossen. Russland kritisierte die neue »Taurus«-Diskussion in Berlin scharf. Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow nannte sie »hochgefährlich«, Politiker aus der zweiten Reihe drohten mit russischen Raketenschlägen gegen deutsche Städte bzw. den Hersteller der »Taurus«-Raketen im bayerischen Schrobenhausen bei Augsburg.
Unterdessen haben Russland und die Ukraine bestätigt, dass die Verhandlungen am kommenden Montag in Istanbul wieder aufgenommen werden sollen. Streit gab es jedoch über den Zeitpunkt, zu dem Russland der Ukraine sein Forderungspaket übermitteln solle. Während das russische Außenministerium mitteilte, die Moskauer Delegation werde das »Memorandum« der ukrainischen Seite erst während der Gespräche »vorlegen und erläutern«, verlangte das ukrainische Außenministerium, den Inhalt zuvor bereits mitgeteilt zu bekommen. Erst dann sei es möglich einzuschätzen, ob es überhaupt Sinn habe, zu den Gesprächen zu fahren. Die ukrainische Seite hält sich also die Möglichkeit offen, den Verhandlungstermin in letzter Minute platzen zu lassen.
Am Mittwoch veröffentlichte die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf drei mit der Thematik vertraute Quellen im Kreml die wichtigsten Punkte des russischen Memorandums. Russland stellt demnach drei Hauptbedingungen für ein Ende des Krieges: den definitiven Ausschluss einer ukrainischen NATO-Mitgliedschaft, ein Ende der westlichen Aufrüstungshilfe für Kiew sowie die Wiederherstellung der Rechte der russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine auf den Gebrauch ihrer Muttersprache sowie ein Ende der Verfolgung der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats.
Die Aussichten auf einen Durchbruch bei der neuen Gesprächsrunde wird von westlicher und ukrainischer Seite systematisch in Frage gestellt. Selenskij sagte in Berlin, womöglich werde die Ukraine noch bis in den Sommer 2026 Krieg führen müssen. Erst dann würden die westlichen Sanktionen Russland wirklich treffen. Auch die NATO stellt sich erkennbar auf einen weiterlaufenden Krieg ein. Für den kommenden Mittwoch ist die nächste Waffenlieferrunde im Ramstein-Format geplant. Da sich die USA aus dem nach ihrem Militärstützpunkt in der Pfalz benannten Gesprächsrahmen zurückgezogen haben, findet die Besprechung im Brüsseler NATO-Hauptquartier statt. Geleitet wird sie durch Großbritannien und die BRD. Die Koalition der Kriegsverlängerer nimmt Gestalt an.
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